Die Favoritin
mein Sohn, höre den Rat dieser Frau, sie ist hellsichtig, klug und weise.«
Verzweifelt, der Etikette zuwider, suchte ich Mancos Blick. Er senkte die Lider. Der Inka geruhte mir einige Verdienste zuzuerkennen, er verzieh mir nicht.
Seine einbalsamierte Hülle wurde in den Sonnentempel überführt.
Martin ruht unter einem Pisonaybaum. Ich erhielt die Erlaubnis, ihn nach Euren Brauch zu bestatten. An seinem Grab betete ich ein Ave-Maria. Er hatte es mich gelehrt, ich fand die Worte poetisch. Und ich errichtete ihm ein Kreuz.
Wenn es Euren Gott gibt, Pater Juan, wohnt Martin zu seiner Rechten. Wenn er aber nur Blendwerk ist, haben unsere Götter es sich gewiß zur Freude gemacht, seine schöne, lautere Seele ins Paradies zu geleiten. Er fiel, wie Manco, der Habgier der Eurigen zum Opfer.
Pater Juan, morgen abend, bei unserer letzten Rast, werde ich meine Geschichte beenden. Vieleicht bereut Ihr dann Eure Neugier. Aber es wird zu spät sein. Ihr wolltet wissen, Ihr sollt es.
Pater Juan de Mendoza
13. Oktober 1572
Oh, Barbarei! Doch frage ich Dich, Herr, wer hier die Barbaren sind? Diese Indios, deren Seele noch brachliegt, oder jene, über die Du großmütig Dein Licht gebreitet hast, die aber Gold und Ehrgeiz taub gemacht haben für Deine Lehren?
8
Die Frau, die ich war, starb bei Mancos Tod. Diejenige, die ich bin, wurde geboren. Nach langer, schmerzvoller Trauer erkannte ich, daß ich in unserer Stadt nichts mehr zu suchen hatte. Was konnte ich noch erwarten? Doch nur das abgeschiedene Dasein einer ehemaligen Favoritin. Eine Ehrenstellung, Privilegien, Hochachtung … Schale Aussichten, die mich erschreckten. Ich fühlte mich noch jung an Körper und Geist und fand, ich hätte Besseres verdient, als am Rand des Lebens dahinzudämmern. Eine unerhörte Anmaßung für eine Frau ohne männlichen Beistand, dessen war ich mir voll bewußt, aber Stolz und Haß trieben mich, unsere Bräuche umzustürzen und mir einen Weg jenseits der vorbestimmten Bahn zu suchen.
Glaubt nun nicht etwa, Pater Juan, ich hätte, zu solchen Schlußfolgerungen gelangt, meine paar Schätze Trägern auf den Rücken geladen, meine Sänfte bestiegen und mich auf die Reise gemacht! So geht das bei uns nicht. Dazu brauchte ich die Billigung unserer Oberen und einen genauen Plan.
Außerhalb unseres Berges saßen überall die Spanier, und sie waren wohl kaum gewillt, mich ans Herz zu drücken.
Mein Ziel war natürlich Cuzco.
Von diesen Überlegungen ausgehend, entwarf ich in groben Zügen meine Strategien. Das Schwierigste war, sie miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Wenn ich nicht weiterwußte, wenn ich vor lauter Risiken bezweifelte, daß meine Pläne durchsetzbar wären, ging ich zu Martins Grab, das ich über die Terrassen unterhalb des Felsens erreichte, wo auf Spießen die bärtigen Köpfe von Diego Mendez und seinen Kumpanen emporragten und in Wind und Frost verdorrten, und ich fand wieder Mut und Ideen.
Als ich mir klargeworden war, ersuchte ich um eine Audienz bei Atoc Supay, einem hohen Würdenträger, den Manco unter seiner Verwandtschaft zum Regenten bestimmt hatte, weil der neue Inka erst zehn Jahre alt war.
Etwas, das dem Tugendsamen Schauder einflößt, das aber europäische Königshäuser zum Träumen bringen könnte, die, glaube ich, bisweilen Schwierigkeiten haben, einen fähigen, normal beschaffenen Erben zu zeugen: unsere Inkas hatten manchmal bis zu zweihundert Kinder. Diese Überfülle ist aus der Anzahl, der Unterschiedlichkeit und Schönheit ihrer Frauen zu erklären. Die Kinder pflanzten sich ebenfalls fort, Ihr mögt Euch danach die riesige Verwandtenzahl des regierenden Inka vorstellen! Diese Verwandtschaft bildete im wesentlichen auch seinen Hof. Natürlich konnten nicht alle männlichen Nachkommen – die weiblichen und ihre Kinder kamen nicht in Betracht – Anspruch auf himmlischen Glanz erheben. Etliche rettete nur die Herkunft aus ihrer Mittelmäßigkeit, aber viele besaßen die Klugheit, Unbeugsamkeit und Verschlagenheit, die einen Befehlshaber auszeichnen, und sie stellten die Provinzgouverneure, die Feldherren und hohen Beamten. Ein solcher Mann war der Regent Atoc Supay.
Ich habe mich oft gefragt, welche Gründe ihn wohl bewogen hatten, mir seine Zustimmung zu geben. Hielt er mich für fähig, ein nützliches Werk zu verrichten, oder kam ihm die Gelegenheit recht, sich einer Frau zu entledigen, deren so eng mit den heroischen Zeiten Mancos verknüpfte Persönlichkeit seinem Einfluß auf
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