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Die Favoritin

Titel: Die Favoritin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davenat Colette
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ich vorgetreten. Plötzlich fühlte ich die auf mich gerichteten Blicke, und ich lief hinaus.
    Auf halber Treppe hörte ich eine Stimme meinen Namen flüstern. Ich wandte mich um. Es dauerte einige Sekunden, bis ich in der ausgemergelten, verwüsteten Gestalt, die da herunterkam, das liebe Bild Martin de Salvedras erkannte.
    »Kommt«, sagte er.
    Im Erdgeschoß betraten wir einen kleinen Raum. Er schloß die Tür.
    »Martin, was macht Ihr hier? Wo ist Villalcázar?«
    »Beim Bischof. Wegen der Beerdigungsfeier.«
    »Wer ist die Tote? Jemand aus seiner Familie?«
    »Seine Frau.«
    »Seine Frau? Er sagte doch, er sei nicht verheiratet! Aber gleichgültig! Martin, wißt Ihr, wo …«
    »Beruhigt Euch, Eurer kleinen Tochter geht es gut.«
    »Martin …«
    »Sie ist auf einem Gut in der Umgebung, das Villalcázar gehört … Asarpay, ich bin so sehr erleichtert, daß Ihr gekommen seid! Wenn ich mir Eure Angst vorstellte … Aber was konnte ich tun, ausgestoßen, wie ich bin. Seit Almagro tot ist, lebe ich in Lima mit Diego, seinem Sohn, und einigen Gefährten. Ein Leben wie von Aussätzigen. Nichts wie Schikanen, Demütigungen! Aber Pizarro wird dafür büßen. Er wird büßen, ich schwöre es. Entschuldigt, ich lasse mich gehen … Damit habt Ihr nichts zu tun. Ihr seid nicht hier, um meine Klagen anzuhören …«
    »Ich habe oft an Euch gedacht«, sagte ich. »Martin, wo liegt das Gut von Villalcázar?«
    Er nahm meine Hand.
    »Wie viele Jahre haben wir uns nicht gesehen? Fünf Jahre … sechs?«
    »Sechs Jahre. Vor Eurer Abreise nach Chile.«
    Er ließ meine Hand los, seufzte.
    »Eine Ewigkeit! Ich habe ein Pferd, ich bringe Euch hin.«
    »Ich wollte Euch keine Schwierigkeiten machen.«
    »Mir Schwierigkeiten machen? Villalcázar und ich reden nicht mehr miteinander. Wenn meine Schwester mich nicht gerufen hätte, als sie ihr Ende nahen fühlte … Sie nämlich hat mir die Geschichte mit Eurer Tochter erzählt. Welch eine Niedertracht! Und ich glaubte, mich könnte seitens der Menschen nichts mehr in Erstaunen setzen …«
    »Eure Schwester?«
    »Meine Schwester war die Frau von Villalcázar.«
    »Eure Schwester? Oh! ich bin untröstlich, Martin! Warum habt Ihr mir nie gesagt, daß Villalcázar mit Eurer Schwester verheiratet war?«
    »Mich an diese Heirat zu erinnern war mir immer zuwider. Sie war das Werk meiner Schwester, und entgegen allem, was Ihr vielleicht denkt, spielte Villalcázar dabei nicht die Schurkenrolle.«
    »Woran ist sie gestorben?«
    »Seelenleid. Das läßt sich nicht heilen. Brechen wir auf, bevor er zurückkommt.«
    ***
    Wir verließen Cuzco in Richtung Süden.
    Martin hatte mir eine Mantille seiner Schwester gegeben, die mich verhüllte. Ich saß seitlich vor ihm. Seine Arme umschlossen mich, und ich hielt mich mit beiden Händen an der Mähne fest. So großen Schrecken mir das mächtige Tier auch einflößte, ich fühlte mich zum erstenmal seit Zaras Entführung weniger elend.
    »Ist es noch weit?« fragte ich immerzu.
    »Noch ein bißchen.«
    Martin blieb schweigsam.
    Auf einmal bog er von der Straße ab und schlug einen Landweg ein. Bis zu den Vorläufern der Berge erstreckten sich Äcker mit rostrotem Stroh. Auch dort war die Ernte eingebracht.
    »Dies ist das Gut«, sagte Martin.
    »Wie ist Villalcázar dazu gekommen?«
    »Als Almagro, von Chile zurück und nachdem seine Verhandlungen mit dem Inka gescheitert waren, sich Cuzcos bemächtigt hatte, verteilte er die Ländereien neu, die Pizarro den Seinen gegeben hatte. Dieses Gut bekam einer seiner Hauptleute, ich war oft hier. Und nach Almagros Niederlage und seiner Hinrichtung nahm Pizarro uns wieder ab, was wir seinen Getreuen genommen hatten … Daß Landsleute sich gegenseitig bestehlen, hassen und umbringen müssen, was für ein Elend! Villalcázar, der sich im Kampf gegen uns an der Seite Hernando Pizarros ausgezeichnet hatte, wurde reich belohnt: der Palast in Cuzco, die Ländereien hier samt mehreren Dörfern … Eben deswegen … Die Gesetze, nach denen die Spanier in Westindien leben, verlangen, daß jeder Mann, der reichen Besitz hat, eine Gemahlin an seiner Seite haben oder sich verheiraten muß. Also ließ Villalcázar meine Schwester kommen. Ehrlich gesagt …«
    Ich unterbrach ihn.
    »Ist es dort?«
    Um einen Hügel, in mäßiger Höhe über einem buschbestandenen Vorsprung, zeichneten sich eine Gruppe von Hütten und das Fachwerkgerüst eines großen, hohen Hauses ab.
    »Ja, das ist es«, sagte Martin. »Das alte

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