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Die Favoritin

Titel: Die Favoritin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davenat Colette
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weiß, Pater Juan, Ihr denkt, daß diese Versuchung zu sterben nicht die erste war. Das stimmt. Sagt, was Ihr wollt, dem Fatalismus seiner Rasse entgeht man nicht so leicht! Außerdem standen die Dinge doch anders, unumkehrbar, wie mir schien. Nachdem Manco mich verjagt hatte und meine Tochter gestorben war, hielt kein Tau mein Boot mehr am Ufer, ich trieb davon ohne Bedauern.
    Jeden Morgen wechselten sich vier Frauen darin ab, mich in der Sänfte des Curaca zu Zaras Grotte hinaufzutragen. Ich verweilte dort Stunden um Stunden.
    Eines Tages, es war März, erwachte meine Aufmerksamkeit bei dem Geklapper der Stöcke, mit denen Greise und Kinder auf den Pflanzterrassen die Vögel aus dem zarten jungen Mais vertrieben. An dem Tag nun kamen die Frauen früher herauf als gewöhnlich. Anstatt die Holme der Sänfte zu fassen, kauerten sie sich nieder.
    Eine davon war meine Mutter. Im allgemeinen benahm sie sich mir gegenüber zurückhaltender als alle anderen. Die Frauen mußten ihr sehr zugeredet und ihr die Worte eingeflüstert haben, daß sie sich jetzt ein Herz faßte mir zu sagen.
    »Du, unser Stolz«, sagte sie, »du siechst dahin, wirst täglich weniger, dein Fleisch schmilzt. Nicht lange, und du wirst von uns gehen in das andere Leben. Was können wir tun, wenn die Götter es so befehlen! … Wir wollen dir ein Ansinnen vortragen: willst du uns, ehe du gehst, nicht erzählen von der reichen Zeit, die du erlebt hast, uns einige deiner Erinnerungen darbieten, auf daß sie in unseren Herzen blühen? Wir wissen nichts vom Inka, nur daß es unsere Pflicht und unsere Freude war, seinem Glanz zu dienen. Du aber weißt …«
    Arme Mutter!
    Ich sehe sie noch, wie sie da in ihren staubgesäumten Kleidern hockte, wie sie die Hände zu Hilfe nahm, ihre Worte zu unterstützen, Hände, die nicht minder viel hätten erzählen können, aber wann je hat der Heroismus des Alltäglichen interessiert?
    ***
    Meine Zuhörer vermehrten sich rasch. Bald war es zur Gewohnheit geworden, daß abends nach getaner Arbeit die Leute aus dem Ober- und die aus dem Unterdorf sich auf dem Platz versammelten. Die Männer reihten sich auf einer Seite, die Frauen und Kinder auf der anderen, jeder hatte sein Essen und seine Decke mitgebracht. Bei uns beißt die Kälte, sobald es dunkelt. Dann kam ich in Begleitung des Curaca und seiner Frauen. Schweigen trat ein, und ich begann zu erzählen. Da öffneten sich denn die geheimen Wege, die Tore, gestirnt mit Türkisen, Korallen, Perlmutter und Smaragden, und, wie Seide raschelnd, taten sich die Behänge aus Ara- und Papageienfedern auf. Gemeinsam besichtigten wir die Tempel, die Paläste, die Thermen mit den fallenden Wassern, wandelten durch die Gärten, wo die Natur zu jeder Jahreszeit frisch und blühend prangte, da sie ja goldene Täuschung war, und ich versuchte ihnen begreiflich zu machen, welche Schönheit und Lust in den unnützen Dingen liegen kann. Ich verschwieg, was zu verschweigen war, und verweilte bei dem, was die Einbildungskraft sich ausmalen konnte.
    Eigentlich ist es fast unmöglich, die Pracht der von Menschenhand erschaffenen Wunder in den Augen derjenigen zu erzeugen, deren Dasein sich auf das strikt Notwendige beschränkt … Versucht es, Pater Juan, versucht nur einmal, einer Zuhörerschaft einen Edelstein zu beschreiben, die nichts anderes als hübsche Kiesel kennt, die man im Geröll findet!
    Wenn ich mir die Gesichter zurückrufe, scheine ich meine Sache trotzdem recht gut gemacht zu haben.
    Daß ich heute mit Freude daran zurückdenken kann, verdanke ich den Leuten meiner Ayllu. Für ein bißchen Traum haben sie mir viel gegeben. Man kann die Menschen auf diese und auf jene Art sehen. Die Andacht jedenfalls, mit der sie meinen Erzählungen lauschten, hat mich ihnen nahegebracht. Wir hatten ein gemeinsames Erlebnis, ich, indem ich eine Welt wiedererstehen ließ, die es nicht mehr gibt, sie, indem sie mit scheuen Schritten dort eintraten. Etwas miteinander zu teilen ist wichtig, ist entscheidend! Und so getragen von ihren begeisterten Blicken, ihren unbefangenen Fragen, ihren bescheidenen Überlegungen, habe ich dieses Volk, dem ich entsprungen bin, entdecken und lieben gelernt. Im Umgang mit den Fürsten hatte ich es vergessen.
    ***
    Während ich genas, kümmerte ich mich wenig um die äußere Welt.
    Von den Wanderheilern, die uns von Zeit zu Zeit aufsuchten, hörte man, daß die Spanier sich nach dem Mord an Pizarro wieder einmal gegenseitig zerfleischten.
    Manchmal kamen mir

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