Die Feen - Hallmann, M: Feen
es?«
»Natürlich«, erwiderte Benny. Sein Mund war trocken.
»Gut.« Sie zog ein Buch aus einer Schublade, schlug es auf und begann zu lesen.
Irritiert wartete er, aber sie sagte nichts weiter. Schließlich wandte er sich der Akte zu. Das Siegel war aus Wachs und trug ebenfalls das vereinfachte Wappen der MacGregors. Zögernd fuhr er mit dem Finger darunter und brach es durch. Es verlieh der Sache eine geradezu absurde Feierlichkeit, er hatte noch nie ein Siegel gebrochen.
Die Rutherford sah nicht auf, als er den steifen Deckel der Akte aufschlug. Es kam ihm falsch vor. Immerhin hatte er Felix nicht gefragt, ob es ihm recht sei, ebenso wenig, wie Elvis ihn, Benny, gefragt hatte, bevor er seine Akte eingesehen hatte, und ihm war es definitiv nicht recht gewesen. Dazu wusste er nicht einmal ganz genau, was er suchte. Es war nur das Einzige, was ihm einfiel, bevor er Felix persönlich abpassen und in die Mangel nehmen konnte.
Er überflog einen beflissenen Brief der Eltern an die Schulleitung, in dem sie ihren Sohn als fleißiges, auffallend intelligentes Kind anpriesen, das sich stets bemühen würde, das hohe Niveau der Schule zu halten. Es klang, als wären sie sich bewusst, dass Felix eigentlich nicht das Zeug dazu hatte, aber das beigefügte Zeugnis der fünften Klasse war so gut, dass Benny staunte. Er fragte sich, was sein eigener Vater der Schule wohl geschrieben haben mochte – oder hatte er alles über die Rutherford und Vitamin B abgewickelt?
Rasch blätterte er weiter. Die Zeugnisse der ersten beiden Jahre auf Glen waren ausgezeichnet. Das hätte er Felix nie zugetraut. Die schlechteste Note war eine Drei in Sport.
Und dann kam die Kopie eines Briefs an Felix’ Vater.
Sehr geehrter Herr von Hauenstein,
mit Besorgnis nehme ich zur Kenntnis, dass Sie unserer Empfehlung, Ihren Sohn Felix von der Schule zu nehmen, nicht entsprechen möchten. Selbstverständlich werden wir Felix, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, nicht der Schule verweisen, Ihre diesbezüglichen Befürchtungen sind unbegründet. Vielmehr handelt es sich bei unserer Empfehlung um einen dringlichen Rat zum Wohl Ihres Sohnes. Trotz ausgezeichneter schulischer Leistungen hat sich Felix nie in die Gemeinschaft der Schülerschaft einfügen können. Der Verlust seines Paten William Davenport, zu dem ein vergleichsweise gutes Verhältnis bestand, wird in dieser Hinsicht nicht hilfreich sein.
Zudem waren die Umstände, unter denen Mr. Davenport unsere Schule verlassen musste, durchaus problematisch. Mitzuerleben, wie sein Pate, der ja unter anderem auch eine nicht zu unterschätzende Vorbildfunktion erfüllt, einen psychischen Zusammenbruch erleidet, kann nicht ohne Auswirkungen auf Felix bleiben, der nach Einschätzung seines Klassenlehrers Mr. Fowler eine sensible Natur hat und leicht zu beeindrucken ist. An dieser Stelle möchte ich Sie auch darauf hinweisen, dass bereits Mr. Davenports Eltern nahegelegt wurde, die Eignung ihres Sohnes für ein anspruchsvolles Internat wie Glenshee Castle noch einmal zu überdenken – nicht aus Leistungsgründen, sondern allein aufgrund der psychischen Belastbarkeit. Im Falle Davenport haben sich unsere Befürchtungen als durchaus berechtigt herausgestellt.
Falls Sie nach wie vor darauf bestehen, dass Ihr Sohn Felix weiterhin Glenshee Castle besucht, muss ich darum bitten, dass Sie im Verlauf der Sommerferien einen Psychologen konsultieren und sich in einem unabhängigen Gutachten bestätigen lassen, dass Felix’ psychische Verfassung stabil genug ist, um im kommenden Jahr nach Glenshee zurückzukehren. Ich bitte Sie darum im Interesse Ihres Sohnes, dessen Wohlergehen stets Ihr wichtigstes Anliegen sein sollte, so wie es auch das unsere ist.
Mit freundlichen Grüßen,
Robert Blakefield, Direktor
Sorgfältig legte Benny den Brief zurück. Der Brief war auf Sommer letzten Jahres datiert. Direkt dahinter fand er die Kopie des psychologischen Gutachtens. Auch das las er durch, allerdings verstand er nicht viel. Nur, dass der Psychologe am Ende zusammenfasste, keine Einwände zu haben, Felix sei zwar verstört von dem Vorfall, aber nicht im Übermaß und keinesfalls auf eine Weise, die über die normale Reaktion hinausgehe.
Er suchte nach weiteren Unterlagen zum Thema William Davenport, fand aber nichts. Als er schließlich aufschaute, begegnete er dem Blick der Rutherford. »Haben Sie gefunden, was Sie suchen?«, erkundigte sie sich.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ich
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