Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
Vom Netzwerk:
berührte sie, und sie wünschte, sie könnte sie kennenlernen, wenn es sie wirklich geben würde. Still im Hintergrund sein und sie aufwachsen sehen.
    »Und sie werden so sein, wie die Sterblichen eben sind«, sann der Kobold und legte in sorgfältiger Denkerpose das Kinn auf eine Hand, deren Finger er elegant spreizte. »Sie kommen aus dem Nichts, unplanbar, unberechenbar. Weiß man, wie sie sein werden? Ob sie sich interessieren – für die Geschicke von Glenshee? Oder werden sie sein wie viele andere … an flüchtigeren Freuden interessiert, an menschlicheren Belangen? Werden sie oder wird wenigstens eines von ihnen die Mühen auf sich nehmen, die die bisherigen MacGregors so hingebungsvoll auf ihre Schultern geladen haben? Oder wird ihre Vergnügungssucht oder ihr Ehrgeiz sie hinaustreiben in die Welt dort draußen? Sie ist groß, Miss Leslie, größer und vielleicht voller geheimnisvollerer Zauber als dieses kleine Tal. Es kann einem wohl recht eng hier erscheinen, wenn man jung ist und die Welt einem offenzustehen scheint. Und wenn man nur eine flüchtige Zeitspanne vor sich hat, um von der Welt zu trinken.«
    »Sie sind heute so philosophisch, Mister Kerrigan.« Ihr Mund war trocken.
    Er lächelte sie an. »Ich frage mich nur, Miss Leslie, was mit uns allen werden wird. Fragen Sie sich das manchmal auch?«
    Geradeheraus erwiderte sie seinen Blick. »Fast jeden Tag, Mister Kerrigan.«
    Nickend zog er an seinem Bart. »Braves Mädchen. Sie waren schon immer ein braves Mädchen, Miss Leslie. Nun laufen Sie schon. Lassen Sie Ihre Mutter nicht allein aus ihren Träumen in die Wirklichkeit heraufdämmern. Sie ist dann so einsam. Einen schrecklichen Augenblick lang, bevor sie von einem Traum in den nächsten findet, ist sie immer so einsam.« Er betrachtete sie nachdenklich. »Und einen schönen Geburtstag, Miss Leslie.«
    Abschied. Es wurde Leslie in dem Moment klar, als sie das Herrenhaus wieder verließ. Zwar würde sie noch einmal wiederkommen, aber das wäre ein geschäftlicher Besuch und vermutlich der letzte. Sie hatte Abschied genommen. Das Zimmer ihrer Mutter, still und sauber, mitten darin das Himmelbett, das Leslie noch immer mit dem Gefühl erfüllte, die Frau, die darin schlafe, sei eine Prinzessin. Eine gealterte Prinzessin, eine verwirrte Prinzessin. Dornröschenschlaf ohne Prinz. Falls Leslie etwas zustieße, würde sich für sie nicht viel ändern. Es würde keine Tage wie den heutigen mehr geben, an denen sie aus dem Schlaf schrak und Leslie neben ihr lag, um sie auf die Stirn zu küssen und ihr zuzuflüstern, sie sei ja da. Dann würde jemand anders da sein – ein Kerrigan mit heißem Tee, der sie beruhigte und ihr versicherte, alles sei nur ein böser Traum gewesen, es sei alles in Ordnung. Manchmal war es sogar Alasdair. In den Schulferien tat er es manchmal für sie, warten, beruhigen, sie in den neuen Tag führen, wenn sie eine ihrer schlimmen Phasen hatte. Leslie fragte sich, ob es ihn auch so zerriss, sie so zu sehen, oder ob es nur eine Pflicht für ihn war, die er erfüllte, wenn seine Zeit es zuließ. Vermutlich war es für ihn weniger schlimm. Wenn sie ihn sah, erkannte sie ihn ja mitunter. Bestaunte den fast erwachsenen Sohn, den sie vor siebzehn Jahren geboren hatte, und fragte, ob sie so lange geschlafen habe. Ihn hielt sie nicht für ein anderes Kind, das sie verloren hatte, nannte ihn nicht bei dem Namen, der ihrer Erstgeborenen gehört hatte, erzählte ihm nicht wieder und wieder, sie habe geträumt, er sei ertrunken, und er musste nicht wieder und wieder so tun, als wisse er nicht, wovon sie sprach.
    Das Herrenhaus erschien ihr so viel leerer als Gins Haus. In der Küche werkelten fleißige, freundliche Hände, der Kerrigan war sicher noch irgendwo, und den Verwalter hatte sie oben im Büro gehört, obwohl er nicht herausgekommen war, um sie zu begrüßen.
    Das alles half nichts. Vielleicht, weil so viel Vergangenheit sie anhauchte, wenn sie dort war. Vielleicht waren es die zu zahlreichen leeren Zimmer. Oder die Tatsache, dass Vater nicht mehr da war. Nicht, dass sie ihn ernstlich vermisste, seinen Blick, der durch sie hindurchging, seine poltrige Art, seine stumme, aber nicht wohlwollende Duldung ihrer gelegentlichen Gegenwart und ihrer Streifzüge durch das Moor. Aber ohne ihn war das Herrenhaus verlassen. So sorgfältig es sauber gehalten wurde, Leslie war, als würden unsichtbare Spinnweben in den Winkeln hängen.
    Vielleicht waren es auch nur die Hunde, die ihr fehlten.

Weitere Kostenlose Bücher