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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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Oder es lag an ihrer Melancholie, dass ihr das Haus heute so verlassen vorkam. Ein einziges Mal in ihrem Leben hatte sie Glenshee verlassen und mit Vater und Alasdair in einem Hotel übernachtet, und sie hatte sich in dieses Hotel verliebt in den drei Nächten, die sie dort verbracht hatten. Zu Tode erschrocken war sie darüber gewesen, wie das Zimmer am letzten Tag ausgesehen hatte, nach dem Packen. Alle Spuren, die sie hinterlassen hatten, getilgt. Unberührt, nur ihre Koffer bei der Tür und ein paar Haare im Waschbecken oder auf den Kopfkissen, die in einer halben Stunde von einer Putzfrau entfernt werden würden. Als wären sie nie dagewesen, sie alle drei. Vater war ungeduldig geworden, Alasdair ärgerlich, als sie sich nicht losreißen konnte von der Leere, die sie hinterließen. Aber dieselbe Leere hatten die Hunde im Herrenhaus hinterlassen. Hatte ihr Vater hinterlassen. Mariah Logan, als sie nicht mehr jeden Tag kam und sich um alles kümmerte. Hinterließ ihre Mutter jeden Tag, wenn sie vergaß, was am Tag zuvor geschehen war. Diese Leere war von ihrer Schwester geblieben, vielleicht am meisten von allen, als die Kerrigans sie sofort nach ihrer Geburt mit sich genommen hatten, spürbare, atembare Leere, ein Bestandteil der Luft, der sich nie wieder ganz verlor. Es war ein Wunder, dass eine solche Leere nicht Gestalt wurde. Dass nichts daraus entstand. Kein graues, stummes Geschöpf, das durch die Räume wehte wie Staub und das Freude daran hatte, einem kurz vor dem Einschlafen mit langen, dünnen Fingern die Kehle zuzudrücken oder die spinnwebartigen grauen Haare über dem Gesicht der Schlafenden auszubreiten, so dass sie keuchend aus dem Schlaf schraken, weil sie zu ersticken meinten.
    Vielleicht empfand sie es heute so stark, weil sie selbst bald eine solche Leere hinterlassen würde. Nur fragte sie sich, wer sie empfinden würde. Ob Alasdair zum Fenster des Eckzimmers hinaufsehen und ein Ziehen im Magen verspüren würde, weil sie dort nie wieder stehen würde?
    Wohl kaum, dachte sie und riss sich los. Trabte durch den hellen, kalten Morgen. Über dem See trieben müßig die letzten Reste des Morgennebels. Ihr war danach zu baden, aber Gin würde sie umbringen, wenn sie Ende November in das schwarze, eisige Wasser sprang. Letztes Mal war sie danach drei Wochen lang krank gewesen, zum ersten Mal in ihrem Leben. Eine interessante, wenn auch nicht unbedingt wiederholenswerte Erfahrung.
    Ihr wurde leichter ums Herz, als sie über den Zaun kletterte und über die Kuhweide lief. Erfreut holte sich Mabel ein paar Streicheleinheiten bei ihr ab. Die zottigen Rinder sahen aus, als wären sie aus einer anderen Zeit entlaufen und nur zufällig hier gelandet. Sorgfältig band Leslie eins der roten Bänder um einen Kuhschwanz wieder fest, das sich halb gelöst hatte, und die dazugehörige Kuh hob den Kopf, wandte sich um und betrachtete sie mit schimmernden, feuchten Augen, als verstünde sie genau, was in Leslie vorging. Vom alten Conway war weit und breit nichts zu sehen, und die Weide war stärker mit Kuhdung gefleckt als sonst. In letzter Zeit trank er wieder mehr, dann vergaß er manchmal seine Kühe für ein oder zwei Tage.
    »Oder die Schwarze Banshee hat ihn sich geholt«, sagte sie leise zu der Kuh und strich ihr über die dicke, feuchte Nase. »Kann auch sein, oder? Würdest du ihn vermissen?«
    Sie machte einen Abstecher zu Mariah Logans Haus und legte frisches Feuerholz nach. Wenn der Kamin bei diesen Temperaturen ausging, froren manchmal über Nacht die Wasserleitungen ein und platzten. Leslie fragte sich, was mit dem Haus geschehen würde. Vermutlich würde es leer bleiben. Oder vielleicht würde einer der Lehrer von Glen einziehen. Dass Mariah zurückkehren würde, glaubte sie nicht.
    Als sie fertig war, schaute sie in die Schublade, wo Mariah ihre Kekse aufbewahrte. Die verkommen zu lassen, wäre jedenfalls eine Schande, und solche Verschwendung hätte Mariah nicht gefallen. Leslie aß drei oder vier und nahm den Rest für Sil und Lumpi mit. Sie steckten in einer kleinen grünen Dose, die sie kannte und liebte, seit sie auf der Welt war.
    Der Gedanke an den alten Conway ließ sie nicht los.
    Plötzlich sah sie ihn in seinem miefigen Bett sitzen, den Schmutz des vorigen Tages noch an den Händen, neben sich auf dem Nachttisch eine halb leere Flasche und mit weit offenen Augen ins Nichts starrend. Wie schnell würde es wohl bei dem alten Säufer dauern, bis die Schwarze Banshee zu ihm durchdrang? Bei

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