Die Feen - Hallmann, M: Feen
Damals hatte es hier ein altes Kuhfell gegeben. Es war, wie die Hunde, lange fort.
Die Fremdheit des Hauses nahm Leslie den Atem. So seltsam hatte sie es sich nicht vorgestellt. Es war, als stünde das Haus seit Jahrhunderten leer, als sei sie jemand, der es fand, lange nachdem es aufgegeben worden war. Ein unrechtmäßiger Eindringling. Möglicherweise war sie im Begriff, dem MacGregor-Clan oder dem, was davon übrig war, den tödlichen Streich zu versetzen. In diesem Augenblick, als sie da in der Eingangshalle stand, in der ihr jede Linie vertraut war, kam es ihr vor, als habe sie eine Vision von einer Zukunft, in der es hier in Glenshee keine MacGregors mehr gab. Und dann? Was gab es hier dann?
»Miss Leslie«, sagte jemand. Sie erschrak nicht; vielleicht hatte sie seine Anwesenheit gespürt, ohne sich dessen recht bewusst zu sein. Er saß rittlings auf dem Treppengeländer, ganz unten vor dem Pfosten, auf den er sich mit den Ellbogen stützte, und streckte die dünnen Beine aus. Die spitz zulaufenden Schuhe, absurd lang, glänzten vornehm.
»Mister Kerrigan«, sagte sie höflich. Dies war nicht der Kerrigan, mit dem Vater den Deal ausgehandelt hatte, damals, vor achtzehn Jahren, aber Kerrigan hießen sie alle, einer wie der andere.
»Ein selten gewordener Besuch«, bemerkte er und betrachtete sie. Es lag kein Misstrauen in seinem Blick, nur Aufmerksamkeit. »Kommen Sie, um Ihre Mutter zu besuchen?«
Leslie nickte.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte er. Als sie nicht antwortete, fuhr er sich mit der Hand durch den roten Bart, der sein Kinn säumte. Schon immer hatte Leslie den Eindruck gehabt, sie machten sich lustig, die Kerrigans, machten sich über die Bilder lustig, die man in der Bibliothek oben in den Büchern fand – Leprechauns mit roten Bärten, sorgfältig gestutzt und dabei doch ausladend, in ihren grünen Anzügen und Schnabelschuhen, meist mit Hüten, Melonen oder gar Zylindern. Zoll für Zoll entsprachen sie den Bildern. Zu exakt, als hätten sie genau studiert, welche Erscheinung die Menschen von ihnen erwarteten, und entsprachen ihr in jedem Detail, um sich darüber zu amüsieren.
»Ihre Verletzungen«, sagte er und deutete auf Leslies Wange. »Heilen sie gut, ja?«
Unwillkürlich legte sie die kalten Finger über den Bluterguss, den Alasdairs Hand hinterlassen hatte und der noch immer gut zu sehen war. Gin hatte ihr eine Salbe dafür gegeben. Sie benutzte sie nicht. Sie mochte den Geruch nicht, und sie wollte nicht, dass die blauen Flecken rasch verblassten. Manchmal schaute sie sie an, die Verfärbungen an den Armen, die im Gesicht, die sie leider nur verfremdet im Spiegel studieren konnte, und bestaunte, dass Alasdair Spuren an ihr hinterlassen hatte. Es war eine Verbindung zwischen ihnen, die nicht er, sondern nur die Zeit fortwischen konnte. Sie tat es, aber langsam. Leslies Körper heilte nicht schnell.
»Es tut nicht weh«, sagte sie, als ihr einfiel, dass er noch auf Antwort wartete.
Langsam nickte der Kerrigan. »Schmerz«, sagte er gemessen. »Eine wertvolle menschliche Eigenschaft.« Es kam ihr vor, als verstünde er genau.
»Ihre Mutter ist auf ihrem Zimmer.« Er neigte den Kopf. »Sie ist heute noch nicht aufgestanden. Heute ist einer jener Tage, an denen sie nicht aus ihren Träumen erwachen will. Es ist gut, dass Sie hier sind, Miss Leslie. Es wird ihr guttun, Sie zu sehen.«
»Danke, Mister Kerrigan.«
»Gern. Wenn ich etwas für Sie tun kann, sagen Sie mir doch Bescheid, nicht wahr? Vielleicht möchten Sie einen heißen Tee an diesem kalten Tag? Oder einige belegte Brote?«
»Danke, Mister Kerrigan, aber ich brauche nichts. Ich bleibe auch nicht lange.«
Er lächelte. »Das liegt in der Natur der Sache.«
»Was meinen Sie?«
»Oh«, sagte er, »nichts Bestimmtes. In den letzten Tagen habe ich mir nur verstärkt Gedanken darüber gemacht, wie vergänglich doch alles ist. Hier, meine ich. Hier in der Welt der Sterblichen. Das Kommen und Gehen. Die Flüchtigkeit. Sie bleiben eine Stunde oder zwei, Miss Leslie, vielleicht sogar einen Tag oder ein Jahr. Aber irgendwann gehen Sie fort. Sie alle. Sie werden wohl keine Kinder haben, nehme ich an, Miss Leslie.«
Leslies Rückgrat versteifte sich. »Das nehme ich auch an.«
»Und Ihr Bruder … weiß man es?«
Leslie schnaubte. »Er kennt seine Pflicht. Er wird es versuchen. Ja, er wird sicher Kinder haben. Eins. Zwei. Mehr. So viele ihm eben geschenkt werden. Ich gehe davon aus.« Der Gedanke an Alasdairs zukünftige Kinder
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