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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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ihnen hier. Benny glaubte den Wind zu hören, der draußen an den dicken Mauern entlangstrich, hungrig und verloren. Er spürte seinen Körper so deutlich und bewusst, wie er es sonst nur beim Laufen tat, das regelmäßig pumpende Herz, die Lungen, die Luft einsogen und ausstießen, die kribbelnde Haut, die Muskeln und Sehnen bedeckte. Den ganzen Tag war es ihm schwergefallen, nicht darüber nachzudenken, dass Leslies Körper von Koboldhänden geschaffen worden war. Sie hatten kaum darüber gesprochen. Überhaupt hatten sie nach einer seltsamen Nacht auf dünnen Matratzen und Decken in der Küche kaum über alles geredet. Bleiche Gin, rastloser Oliver, Kekse, Tee, Marmeladenbrote und Mensch-ärgere-Dich-nicht . Und Grau, der aufgehört hatte, seine Runden zu drehen, und ständig in Leslies Nähe blieb. Der Tag war viel zu schnell vorübergegangen, aber im Rückblick kam es ihm vor, als hätten sie wochenlang dort gesessen. Wochenlang Kekse und Tee und Marmeladenbrote und das Klackern der Würfel. Kein Sil, der die Figuren still zurückbrachte, sondern Lumpi, der empört krähte, wann immer eine bunte Figur durchs Zimmer flog, und sie unablässig schimpfend zurück auf den Tisch stellte.
    »Da hast du mir eine Pest angeschleppt«, hatte Gin Leslie vorgeworfen. »Er mag ja alles sauber machen, schön und gut, aber wenn ich einen Haustyrannen hätte haben wollen, dann hätte ich geheiratet. Ich darf den Pullover von gestern nicht noch mal anziehen, weil er einen kleinen Fleck hat und außerdem ein winziges Loch ausgebessert werden muss, ist das zu fassen?« Ihre Stimme hatte keine Schärfe, sondern klang müde, aber sie hatte den ganzen Tag ihr Bestes gegeben, sich ganz normal zu verhalten, bis sie am Ende völlig erschöpft davon war.
    Das alles schien so lange zurückzuliegen, als stammten die Erinnerungen aus einem anderen Leben. Jetzt waren sie hier auf Glen. Stilles, fremdes Glen. Und noch fremder wurde es, als sie, ohne jemandem begegnet zu sein, den Schweinetrog durchquerten. Die Türen der Speisesäle standen offen, die Böden und dunklen Bahnen der langen Tafeln glänzten.
    »Sind wir schon in der Feenwelt?«, fragte Benny unwillkürlich. »So ein bisschen? Es ist so fremd hier.«
    »Das weiß man nicht immer mit Sicherheit«, erwiderte sie, und er wünschte, es hätte scherzhafter geklungen. »Schscht, Grau. Ist ja gut.«
    Die Schatten, an deren träges Fließen sich Benny in den paar Tagen nicht hatte gewöhnen können, lauerten fast reglos in den dunklen Ecken und Winkeln der alten Burg. Er erwischte sich dabei, dass er Oliver beneidete, der jetzt bei Gin zu Hause saß. Andererseits waren die beiden dort jetzt wahrscheinlich vollkommen damit beschäftigt, beim Warten nicht verrückt zu werden.
    Er dachte an den Vertrag. Ihm würde nichts passieren. Er würde nur zuschauen, wie die beiden Schwestern die Körper tauschten, wie auch immer so etwas aussehen mochte. Scheu warf er Leslie einen Seitenblick zu – in diesem Körper würde bald jemand anders wohnen, aus diesen Augen schauen und diese Haare aus der Stirn streichen.
    Grau würde zu Gin laufen, wenn alles vorbei war. Damit sie Bescheid wussten. Dann würde Oliver zurück nach Glen kommen, und sie beide, er und Benny, würden vermutlich noch eine Weile im Kaminzimmer sitzen, Nachtruhe hin oder her, dann würden sie schlafen gehen und eine Weile, vielleicht ein paar Tage lang, die Fragen aushalten, wo sie gesteckt hatten, bis die anderen es aufgaben. Und dann würden sie abwarten. Abwarten, wie es sein würde. Und wenn sie Grau sahen, würden sie sich immer fragen, ob er allein war oder ob Leslie zu Besuch kam. Immerhin – diesen Trost hatte Gin. Nach dem Tod seiner Mutter hatte sich Benny ein paarmal eingebildet, sie käme in Gestalt kleiner Tiere zurück. Einmal hatte ein Eichhörnchen vor seinem Fenster gesessen und ihn lange gemustert, so aufmerksam, wie Eichhörnchen es sonst höchstens für wenige Sekunden zustande brachten, aber dieses hatte ihn angesehen, als würde es über ihn nachdenken. Da hatte er fest geglaubt, gegen alle Vernunft, dass sie nach ihm schaute. Und manchmal hatte er geglaubt, ihren Blick in Jabbas Augen zu sehen, wenn der Kater ihn betrachtete. Ein dummer, ein kindischer Trost, an dem er sich manchmal wider besseres Wissen heimlich festgehalten hatte.
    Aber für Gin würde es anders sein. Sie würde Grau anschauen und wissen , dass Leslie zu Besuch gekommen war. Würde ihren Namen sagen, und statt zu blinzeln und

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