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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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Sie viel zu tun, Sie können sich ganz aufs Lernen konzentrieren. Und ich habe festgestellt, dass das Land gut ist, um Wunden heilen zu lassen.« Sie schaute ihn so eindringlich an, als sei sie sicher, ihm eine große, wertvolle Weisheit zu verkünden. Fast hätte er aufgelacht.
    »Es kümmert sich nicht um unsere Belange«, sagte sie salbungsvoll. »Es ist uralt, es war da, lange bevor einer von uns auf der Welt war, und es wird da sein, wenn wir lange nicht mehr sind. Hier in Glenshee hat sich seit Jahrhunderten nicht viel verändert. Außer im Dorf und an der Schule natürlich, aber der Rest ist noch so wie seit Hunderten von Jahren. Wir haben hier nicht viel Bedeutung. Darin liegt, so seltsam es klingt, ein gewisser Trost, jedenfalls für mich. Ich hoffe, dass Sie das auch so empfinden.«
    Trost, hallte es in Benny nach. Er hob den Blick und schaute die Rutherford direkt an. »Ich brauche keinen Trost«, sagte er spöttisch. »Ich will keinen Trost, und ich brauche keinen. Was haben alle immer mit ihrem Scheißtrost? Früher oder später verrecken wir alle. Ende. Ich wüsste nicht, was es da zu trösten gäbe. Man kann Blumen auf ein Grab werfen, solange man Lust dazu hat, aber es bleibt ein Scheißgrab. Man kann sich erinnern und weinen und fluchen, solange man will, aber das ändert gar nichts, und es macht nichts besser. Wir sterben, wir verwesen, es bleibt nichts übrig, und das war’s. Das ist alles. Das ist das große Geheimnis des Todes. Fertig. Diese ganze beschissene Heuchelei, diesen Trost , von dem alle reden, das können sie sich alle in die Haare schmieren. Und Sie auch. Ich will keinen Trost. Und Glenshee ist mir vollkommen egal.«
    Er spürte die schreckliche Wucht hinter seinen Worten, die fürchterliche Wahrheit, die in ihm widerhallte. Aber die Rutherford sah nicht besonders beeindruckt aus. Er überlegte, ob er noch einmal bekräftigen sollte, dass sie alle verrecken und verwesen, dass sie von Fäulnisgasen aufgetrieben in lächerlich blumengeschmückten Gräbern herumliegen und von Würmern gefressen werden würden. Er hätte gern Erschrecken auf ihrem ruhigen, spröden Gesicht gesehen, aber dann kam es ihm doch zu kindisch vor.
    »Wenn Sie keinen Frieden damit machen wollen, wird Glenshee Ihnen auch keinen aufzwingen«, sagte sie schließlich und schob ihm über die glatte, polierte Endlosigkeit des Schreibtischs eine kleine lederne Mappe entgegen. »Das sind ein paar Informationen zum Unterricht. Soweit ich weiß, haben Sie sich nicht unbedingt eingehend mit den Gegebenheiten auf Glenshee vertraut gemacht, hier ist alles Wichtige noch einmal zusammengefasst. Elvis Bloomsfield wird Ihnen ein wenig dabei zur Hand gehen, Ihre Stundenpläne zusammenzustellen. Er wartet im Gemeinschaftsraum Ihres Jahrgangs auf Sie. Sie wissen, wo das ist?«
    Wortlos nickte Benny. Er war ein bisschen beleidigt darüber, dass sie so wenig reagierte.
    »Gut. Dann sind Sie hiermit entlassen.«
    Er stand auf.
    In diesem Moment knackte etwas im Kamin. Es war laut, fast ein Knall, vermutlich ein Harzeinschluss in einem Scheit, der explodierte. Benny hätte es nicht weiter beachtet, aber er sah die Rutherford zusammenzucken. Einen Lidschlag lang starrte sie zum Feuer hinüber wie ein Kaninchen, wenn es donnerte – sie sah regelrecht erschrocken aus.
    In der nächsten Sekunde war es auch schon wieder vorbei, sie schaute ihn an, als wäre nichts gewesen. »Ist noch etwas?«, fragte sie.
    Er blinzelte. Hatte er es sich nur eingebildet? »Nein. Äh – danke.« Ohne ein weiteres Wort nahm er die Mappe und ging. Seine Gedanken tobten wie kochendes Wasser, und es war aussichtslos, einen davon zu fassen zu bekommen. Elvis Bloomsfield wartete also im Gemeinschaftsraum? Vermutlich war das Kaminzimmer gemeint, in dem er gestern Abend Oliver und die anderen kennengelernt hatte. Gut, sollte Elvis dort warten. Benny musste erst einmal raus.
    Sein ganzer Leib schmerzte vor Anspannung, der Magen war ein fester Knoten, er spürte ganz deutlich, wie er hart und schwer in seinem Leib lag wie ein bleierner Fremdkörper, sein Sichtfeld war seltsam eingeschränkt, an den Rändern tanzten bunte Funken, und in den Ohren rauschte es vertraut. Kein guter Zeitpunkt für andere Menschen. Ein guter Zeitpunkt für Musik. Verdammt sollte sein Vater sein. Verdammt sollte er selbst sein, er verfluchte sich dafür, den MP 3-Player im Auto liegen gelassen zu haben. Er verfluchte das ganze Glenshee, die kalten Mauern, das dämliche Schottland, alles.

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