Die Feen - Hallmann, M: Feen
Kopf.
»Vorgestern«, sagte Leslie, sie klang ganz sachlich, »habe ich beim Kelpie ein graues Haar entdeckt. In der Mähne.«
Gin stand auf und setzte Wasser auf, um Tee zu machen. Daran konnte man sehen, wie es ihr ging, denn die Tassen waren noch halbvoll, und auf dem Tisch stand eine frische Kanne. Auf der Suche nach einer zweiten wühlte sie wütend im Küchenschrank herum.
»Sie sterben.« Jetzt klang Leslies Stimme brüchig. Am liebsten hätte sich Felix die Ohren zugehalten. »Sie sterben«, wiederholte sie. »Wir müssen etwas tun.«
»Und was genau schwebt dir vor?«, fragte Gin. Ihre Stimme klang ganz normal, als würde sie fragen, ob jemand Honig in seinen Tee wollte. Aber Felix sah ihre Hände zittern. Seine eigenen zitterten auch. Das Feuer knurrte unwillig unter den ungeschickten Stößen, die er ihm mit dem Schürhaken versetzte, und irgendwo drüben, auf der anderen Seite, wunderte sich vermutlich Sil, was wohl los sein mochte. Deshalb war er nicht hier – er ahnte, dass etwas in der Luft lag, das nichts mit Schokolade und warmem Brei zu tun hatte.
»Wir müssen sie töten«, sagte Leslie.
Die Ungeheuerlichkeit ihrer Worte drang Felix so langsam ins Bewusstsein wie kalter Honig, der zäh von einem Löffel tropft. Aber sie hatte es wirklich gesagt. Und das, obwohl sie ihm selbst erklärt hatte, dass manche Wesen nicht starben. Sie vergingen, wenn ihre Zeit gekommen war, aber sie starben nicht. Wie konnte man etwas töten, das nicht starb?
Klirrend stieß der Deckel gegen die Kanne. »Und wie willst du das anstellen?«, fragte Gin, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
Leslie hob den Blick. Sie lächelte. Ihre Augen waren dunkel. »Wir werden sie abfangen, Grau und ich. Sie schleicht jede Nacht um Glen herum, und sie kommt aus dem Moor. Wir werden auf sie warten, vielleicht wird sie mich angreifen, und dann wird Grau sie töten.«
»Sie wird dich nicht angreifen.« Gins Wangen waren gerötet. »Sie wird einen Teufel tun und dich angreifen.«
»Na, dann musst du dir ja keine Sorgen machen.« Leslie klang fast fröhlich, fand Felix. Er fragte sich, ob sie den Verstand verloren hatte.
»Aber das heißt, dass es nicht funktionieren wird«, gab Gin zu bedenken. »Sie wird einen Bogen um euch schlagen und trotzdem zur Burg gelangen, und dann wird sie dort herumschleichen, und ihr seid ganz umsonst mitten in der Nacht unterwegs gewesen.«
»Na, dann musst du dir ja auch keine Sorgen machen.«
»Ich mache mir keine Sorgen wegen diesem Vieh. Ich mache mir Sorgen, was Alasdair dazu sagt, wenn er erfährt, dass du eigenmächtig Jagd auf eins seiner Ungeheuer machst.«
Leslie hob die schmalen Schultern. »Er kann nur zu Dingen etwas sagen, von denen er erfährt.«
Glen hat Augen und Ohren, dachte Felix. Er wird es erfahren.
»Und wenn ich nichts ausrichten kann, wird es ihn wohl kaum stören«, fuhr Leslie fort. »Also ist es einfach nur eine kalte Nacht am Rand des Moors für Grau und mich. Im schlimmsten Fall hole ich mir eine Erkältung. Dann kochst du mir dreißig Kannen von deinem widerlichen Erkältungstee, und ich muss sie trinken, während du mir erklärst, ich sei selbst schuld.«
Gin lachte nicht. Sie starrte Leslie eine ganze Weile an. Jeder andere hätte vor diesem Blick kapituliert, aber Leslie erwiderte ihn ungerührt.
»Sie darf und wird dir nichts tun«, sagte Gin.
»Richtig«, sagte Leslie freundlich.
»Aber wenn sie dir nichts tun kann und darf, dann wird es nicht funktionieren. Dann wird sie dich einfach nicht beachten und ihr seid umsonst da draußen.«
»So ist es. Warum also machst du dir Sorgen?«
Gin verschränkte die Arme vor dem üppigen Busen und lehnte sich an den Küchenschrank. »Weil ich nicht glaube, dass du dort wartest, wenn du weißt, dass es keinen Sinn hat«, sagte sie misstrauisch.
»Oh«, versicherte ihr Leslie, »nahezu alles hat einen Sinn – oder nichts hat einen, wie man es eben betrachten möchte. Falls sie nicht kommt, dann verbringen wir eben eine kalte, entbehrungsreiche Nacht im Angesicht von Glen, Grau und ich, und schleichen im Morgengrauen heim wie geprügelte Hunde. Das nennt man dann eine Erfahrung, Gin, und Erfahrungen sind dafür da, dass man sie macht. Nichts ist völlig umsonst.«
Erbost starrte Gin sie an. »Hör mit dem Gequassel auf, Leslie MacGregor, oder ich werfe dich eigenhändig raus. Nie im Leben gehst du mitten in der Nacht mit Grau nach Glen, um dort die Erfahrung zu machen, dass nichts passiert. Was hast du vor –
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