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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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träume ich so etwas?«, klagte sie. »Ich habe das Gefühl, ich träume es jede Nacht.«
    »Schon gut, Mama«, beruhigte Leslie sie. »Ich bin ja da. Mir ist nichts passiert. Ich bin hier.« Sie lehnte sich gegen ihre Mutter, und gemeinsam schauten sie auf den Garten hinaus. Dämmerung senkte sich ins Tal und floss über die sorgfältig gepflegten Beete und die Steine der Wege, die dazwischen hindurchführten. Leise raunend schoben sich Dämmerungskobolde heran, kaum mehr als Schatten, und leckten gierig die letzten Lichtpfützen auf. Es gab nur wenige Orte, wo Leslie welche beobachtet hatte, aber hier sah man sie fast jeden Abend in Scharen.
    Ihre Mutter sah sie nicht. Sie lächelte. »Hast du schön gespielt?«, fragte sie und fuhr Leslie liebevoll durchs Haar.
    »Ja«, antwortete Leslie geduldig. »Wir haben schön gespielt, Alasdair und ich.«

20 Körper
    20 KÖRPER
    D ie Luft war klar genug, um Glen von Gins Gartenmauer aus zu sehen. Auf diese Entfernung erkannte Leslie nur die Umrisse der Burg, die aus festen Steinmauern gefügt war und so unverrückbar dazustehen schien, als würde sie alle Zeiten überdauern.
    Gin war noch auf der Arbeit. Leslie streckte sich auf der Mauer aus und betrachtete die Burg ausgiebig. Wenn sie die Hand hob, konnte sie sie vollständig verdecken, samt der Türme und der umgebenden Mauern. Wie seltsam, dass Größe so relativ war und trotzdem in dieser Welt so festgelegt, so messbar und abgemessen wie Zeit. Es verstörte sie manchmal sehr, ganze Tage brachte sie in Verwirrung über diesen Umstand zu. Auch Karten verwirrten sie auf ähnliche Weise – sie wusste noch genau, wie sie als kleines Mädchen in der Bibliothek eine Karte von Glenshee gefunden und eine ganze Nacht darauf gestarrt hatte, unfähig zu begreifen, dass all die geheimen Winkel, die Wege und Pfade und Tümpel und die abertausend Büsche und Bäume und Gräser auf diesem Blatt Papier zusammengefasst sein sollten, reduziert auf Linien und eine Handvoll Farben. Wie winzig einem die Dinge vorkamen, wenn sie abgemessen wurden! Wie winzig und bedeutungslos und all ihrer Geheimnisse beraubt.
    Neben ihr schnurrte Grau in den Strahlen der winterblassen Sonne, er hatte die Gestalt eines fetten Katers angenommen. Sie wusste, dass er nicht schlief, denn sonst wäre er wieder größer geworden und von der Mauer gefallen. Um kleiner zu sein, als er war, musste er sich konzentrieren. Sie streckte die Hand aus und strich ihm über das raue Fell. »Nimm mich mit«, flüsterte sie.
    Grau hob den Kopf und blinzelte sie an. Leichtfüßig sprang sie von der Mauer und ging ins Haus. Nach kurzem Zögern folgte er ihr. Ein Kissen im Rücken, streckte sie sich auf dem Küchensofa aus, auf dem sie nachts oft schlief. Gins Haus hatte nur drei Räume: Küche, Bad und das kleine Schlafzimmer. Dazu draußen den alten Ziegenstall, den sie im Winter als Vorratskammer benutzten. Leslie konnte sich kein schöneres Haus vorstellen.
    Ihr Körper fühlte sich schwer und verletzlich an. Seufzend schloss sie die Augen. Grau ließ sich Zeit, es behagte ihm nicht, ihren Körper hier ganz ungeschützt zurückzulassen. Endlich bequemte er sich und strich vorsichtig an ihr entlang. Sein raues Fell kitzelte an ihrer Wange. Mit schmerzhaftem Ziehen im ganzen Leib löste sie sich von ihrem Körper, krallte sich in seinem Fell fest und ließ sich herausziehen aus dem Gebilde aus Fleisch, Knochen, Sehnen und Blut. Tauchte ein in seinen Leib, der viel leichter war und keine Erschöpfung kannte. Vergnügt breitete sie sich darin aus, und gemeinsam streckten sie sich, hieben die Krallen verbotenerweise tief in den Holzfußboden und schnurrten. Kein Herzschlag zählte die Sekunden, kein Schweiß verklebte das Fell, kein Atemzug dehnte die Lungen, weil die Luft direkt durch ihn hindurchging, und als Grau die Augen öffnete, sah Leslie die Seltsamkeit der Menschenwelt, wie sie es mit eigenen Augen nie sah. Die Formen so unverrückbar und festgefügt, so schön in ihrer Reglosigkeit. Die Lust, sich am Holzbein des Tischs auszustrecken und die Krallen hindurchzuziehen, um allen zu zeigen, dass sie hier lebte, war mächtig, und ebenso magnetisch zog der herrlich feste, raue, schon etwas zerschlissene Stoff des Sofas sie an. Leslie kicherte vor Entzücken, und Grau sprang mit einem gewaltigen Satz auf den Küchentisch, um sich durch den schmalen Fensterspalt zu zwängen. Kaum gelandet, dehnte er sich aus und nahm seine bevorzugte Gestalt eines Irischen Wolfshunds an. Wie

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