Die fernen Tage der Liebe
»Und zweitens sagte ich,
wir sind nah dran.«
»Nah dran an was?«, fragte Bill.
»Salt Lake, weißt du nicht mehr?«, antwortete April nach einem Seitenblick. »Ich sollte dir doch sagen, wenn wir in die Nähe
kommen.«
»Da muss ich wohl eingenickt sein.«
»Höchstens etwa zwei Stunden«, sagte April. »Musst du anhalten?«
Das Schläfchen hatte ihm gut getan. Alles stand ihm klar und deutlich vor Augen. Er wusste wieder, warum er hier Halt machen
wollte. Schon allein diese Empfindung gab ihm neue Energie – das Gefühl, dass er die Dinge begriff, dass er nicht herumraten,
nicht nach irgendwelchen Anhaltspunkten suchen musste, nach einem Wort, bei dem ihm plötzlich alles wieder einfallen würde.
Er erinnerte sich an das Gespräch mit Marcy. Er wusste, was jetzt zu tun war.
»Nimm eine von den Ausfahren, auf denen ›Downtown‹ steht«, wies er April an. »Egal, welche.«
April entschied sich für die erste, die sie sahen. Mühelos wechselte sie die Spur und bremste sanft ab, um die scharfe Kurve
der Ausfahrt meistern zu können. An deren Ende gab es ein Schild mit Tankstellen und Restaurants.
»Sollen wir den McDonald’s nehmen?«, fragte sie. »Du sagst doch immer, dass dort die Toiletten am saubersten sind.«
»Bieg einfach ab und fahr noch ein Stück.«
»In welche Richtung? Nach links oder nach rechts?«
»Spielt keine Rolle.«
April bog nach rechts ab. Bill war erstaunt, wie rasch der Highway von breiten Ausfallstraßen abgelöst worden war. Ein paar
Mal bat er April noch abzubiegen, damit sie ins Zentrum der Stadt kamen.
»Wie komme ich da hin?«
»Halt einfach auf die da zu«, sagte Bill und deutete auf eine Ansammlung hoher Gebäude zu ihrer Linken.
»So aufs Geratewohl? Kannst du mir nicht einen Tipp geben?«
Bill konzentrierte sich auf die Straßen. Wie in jeder Stadt eilten auch hier überall Leute herum. Die meisten sprachen in
ihre Mobiltelefone, selbst in Zweier- und Dreiergrüppchen palaverten sie gleichzeitig durcheinander. »Die schlimmste Erfindung
überhaupt«, sagte Bill.
»Was?«
Bill setzte sich auf. Eine Frau schob gerade einen Kinderwagen die Straße hinunter und schaute sich die Schaufenster an. Sie
wirkte Anfang dreißig. Irgendwann blieb sie stehen und wandte das Gesicht der Sonne zu. Sie lächelte.
»Fahr rechts ran«, befahl Bill und kurbelte sein Fenster herunter. »Schnell.«
April kontrollierte erst die anderen Spuren, dann fuhr sie rechts ran.
»Du bringst uns noch mal um«, sagte sie.
»Entschuldigen Sie, Ma’am«, rief Bill der Frau zu.
Sie blickte herüber. Dann zog sie den Kinderwagen näher zu sich heran. Jetzt lächelte sie nicht mehr.
»Können Sie uns helfen?«, fragte Bill. »Wir suchen den Greyhound-Busbahnhof.«
Die Frau schien sich ein wenig zu entspannen. Sie blickte sichum, als sei der Bahnhof irgendwo in der Nähe und sie werde gleich darauf zeigen. Doch dann zuckte sie nur entschuldigend die
Achseln und ging weiter.
»Sir?«, rief Bill einem anderen Passanten zu. »Könnten Sie uns helfen?«
Der Mann, den er deshalb ausgesucht hatte, weil er kein Telefon am Ohr hatte oder herumhastete, als gelte es, die Probleme
der Welt zu lösen, war gut angezogen und trug, wie Bill zu spät erkannte, eine Bibel bei sich.
Er kam zur Beifahrerseite und beugte sich aus einem respektvollen Abstand zur Scheibe hinunter. »Nummernschilder aus Ohio«,
sagte er. »Da haben Sie ja einen ganz schön weiten Weg hinter sich.«
»Allerdings«, gab Bill zurück. »Aber es war die Sache wert. Sie haben ja wirklich eine wunderschöne Stadt hier.«
Der Mann lächelte. »Das ist wahr, gepriesen sei der Herr. Wie kann ich euch helfen?«
»Wir suchen den Greyhound-Busbahnhof.«
Der Mann runzelte die Stirn. Er richtete sich auf und blickte um sich, ebenso wie schon die Frau mit dem Kinderwagen.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte er. »Ich weiß aber, dass der Amtrack-Bahnhof drüben am Pioneer Park ist.«
»Den meinte ich ja auch, Amtrack«, verbesserte Bill schnell. »Weiß auch nicht, wie ich auf den Bus gekommen bin. Meine Enkeltochter
sagt, ich werde langsam senil.«
Der Mann lächelte.
»Die Jugend von heute«, ergänzte Bill und grinste. »Keinen Respekt mehr. Kennen Sie das?«
Der Mann beugte sich wieder vor und lächelte April an. »Ich bin sicher, Ihre Enkelin ist eine anständige junge Dame«, sagte
er. Immer noch an April gewandt, fügte er hinzu: »Folgen Sieeinfach dieser Straße bis zur Vierten und biegen Sie dort
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