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Die fernen Tage der Liebe

Die fernen Tage der Liebe

Titel: Die fernen Tage der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James King
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Momente war, wo er eigentlich seinen Arm hätte ausstrecken und ihr Knie tätscheln
     und ihr etwas Tröstliches sagen sollen. Aber seine Hand fühlte sich schwer an. Wie Zement.
    »Fahr uns einfach nur da hin, April«, sagte er, seine Stimme war nur noch ein Flüstern. »Okay? Fahr einfach los. Das wird
     schon alles werden.«
    Dieselben Worte hatte er auch bei Clare gebraucht, als dieser andere bescheuerte Arzt ihnen – durch die Blume – erklärt hatte,
     dass es definitiv nicht wieder werden würde.
    Dieselben Worte hatte er auch Mike und Nick und Marcy gegenüber gebraucht, als alle Gäste gegangen waren und all drei am Küchentisch
     saßen, immer noch in den Sachen, die sie zumGottesdienst getragen hatten, und ins Leere starrten, umgeben von einer erdrückenden Stille.
    Worte. Sinnlose Worte. Sinnlos. Sinnlos. Sinnlos.
    Bill schloss die Augen. Clare war ganz in der Nähe. Er konnte sie spüren. Er versuchte, ihre Gesichtszüge zu erkennen. Eine
     Geschichte aus den Nachrichten fiel ihm wieder ein über eine Debatte, als sie eine Briefmarke mit Elvis Presley hatten … was
     war noch gleich das Wort …
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wollen? Es war darum gegangen, ob man den jungen oder den alten Elvis nehmen sollte. Welcher hatte noch mal gewonnen? Der
     junge, glaubte Bill. Und so wollte er es auch haben. Die junge Clare. Die junge Clare mit ihrer weichen Haut, den strahlenden
     Augen und dem kräftigen, wunderschönen braunen Haar. Aber das waren alles nur Worte: jung, glatt, strahlend, wunderschön.
     Nichts davon sah er, nichts davon spürte er. Stattdessen sah er die alte Clare, die kranke Clare. Die aschfahle Haut, die
     hohlen Augen, das welke Haar.
    »Du siehst mich gar nicht mehr an«, sagte Clare eines Tages zu ihm, als er sie wieder ins Bett legte, nachdem er ihr zur Toilette
     geholfen hatte.
    »Was soll das heißen, ich sehe dich gar nicht mehr an«, fragte er, zupfte das Laken und die Decke zurecht und reihte dann
     sorgfältig die Fläschchen mit den Medikamenten auf dem Nachttisch auf wie Marinesoldaten beim Appell. »Das ist doch Quatsch.«
    »Weißt du noch, wie du früher einfach nicht aufhören konntest, mich anzuschauen, als du die ersten Male zu uns kamst? Da hast
     du mich an Buster erinnert, der auf ein Leckerchen haben will.«
    Bill grummelte und schob dabei ihre Schnabeltasse mit Wasser von der Ecke des Nachttischs weg. »Ich habe diesen Hund gehasst.«
    »Er dich auch«, erwiderte Clare lachend. »Ich glaube, er wusste, dass du derjenige sein würdest, der mich wegholte.«
    »Hat sich dann ja auch bewahrheitet«, sagte Bill und blickte genau über den Kopf seiner Frau hinweg auf ein Muster im Bettgestell.
     »Blöder Hund.«
    »Sieh mich an, Bill«, verlangte seine Frau. Bill versuchte, sich auf ihre Augen zu konzentrieren und nicht auf die bleiche
     Haut oder die Schweißtropfen oder die roten Äderchen in dem gelblichen Weiß ihrer Augen. »Du musst es noch einmal machen.«
    »Was muss ich noch einmal machen?«, fragte er. Er nahm sich –
ratsch
– ein Papiertaschentuch und tupfte die dünne Schweißlinie über ihren dünnen, farblosen Lippen ab. Sie umklammerte seine Hand.
     Ihre Stärke erstaunte ihn. Sie hatte die Augen aufgerissen, flehend.
    »Du musst mich wegholen.«
    Der Wind weckte ihn. April hatte es gemacht wie immer, sobald er einnickte: Sie hatte das Fenster ganz heruntergekurbelt,
     den Arm halb herausgestreckt und das Lenkrad so umfasst, dass es, so vermutete er, ihrer Ansicht nach »cool« aussah. Aber
     das Pfeifen, das der Wind im Wagen verursachte, erinnerte ihn jedes Mal unweigerlich an den kalten Wind, der ihm durch den
     Helm gepfiffen war, während sein restlicher Körper erfror. Dieses Geräusch war schlimmer als das raunende Pfeifen einer heranfliegenden
     Granate. Der Wind wusste immer, wo man war, und nie versprach er einen schnellen Tod. Er versprach überhaupt nichts. Er höhnte
     nur. Der Tod selbst höhnte. Er höhnte in Korea genauso wie in Woodlake.
    »Mach endlich das verdammte Fenster zu.« Bill wischte sich mit dem Handrücken einen kleinen Spuckefaden vom Mund. Es hatte
     gar nicht so wütend herauskommen sollen.
    April gehorchte, ohne zu protestieren. Doch was immer siegesagt hatte, wurde vom Lärm eines vorbeifahrenden Sattelschleppers verschluckt.
    »Siehst du? Ich kann dich überhaupt nicht verstehen, wenn das verdammte Fenster offen ist. Was hast du gesagt?«
    »Erstens sagte ich, es tut mir leid«, wiederholte April und sorgte dafür, dass Bill sich schämte.

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