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Die fernen Tage der Liebe

Die fernen Tage der Liebe

Titel: Die fernen Tage der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James King
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Besonderes.
     Er war immer für ihn da gewesen. Einfach immer da.
    »Mach’s gut, du alte Blechbüchse«, sagte Bill und wandte sich ab.
    Auf der Straße fragte er einen Jungen in irgendeiner braunen Uniform, wo es zum Greyhound-Busbahnhof ging.

27
    Um nicht verrückt zu werden, während sie auf ihren Großvater wartete, studierte April den Streckenplan des
California Zephyr.
Schon der Name reichte aus, dass ihr Herz höher schlug. Endlich gab es etwas Greifbares, etwas, das den Namen Kalifornien
     in sich trug, ein Zeichen, dass sie fast da waren, dass es Wirklichkeit wurde. Der Name dieses Zuges begeisterte sie noch
     mehr als der Moment, als sie zum ersten Mal die Rocky Mountains gesehen hatte.
    Nur noch vier Stopps in Utah: Elko, Winnemucca (sie versuchte sich vorzustellen, wenn man sagte,
Hi, ich komme aus Winnemucca
), Sparks und Reno. Dann waren sie schon in Kalifornien. Danach kamen noch sechs kalifornische Stopps – Bahnhöfe: Truckee,
     Colfax, Roseville, Sacramento (den Namen hatte sie schon mal gehört), Davis, Martinez und – als Endstation – Emeryville.
    »Aber ich will doch nach San Francisco«, hatte April dem Mann am Schalter gesagt, als sie die Karten gekauft hatte.
    Der Mann, der zwar jünger war als ihr Großvater, aber nicht viel, sah sie über seine Lesebrille hinweg an. »Da fährst du auch
     hin«, sagte er. »11:35 Uhr. Gleis 2.« Er sah wieder hinunter auf die Zeitung, die er gerade las.
    »Und warum steht dann da nicht San Francisco?«
    »Es ist nur der Name des Bahnhofs.«
    »Sind Sie sicher?«
    April staunte über ihre eigene Frage. Nicht, weil es eine dumme Frage gewesen wäre, sondern weil sie sie überhaupt gestellt
     hatte. Vor ein paar Wochen hätte sie die Antwort dieses Mannes noch ohne Gegenfrage hingenommen. Selbst wenn sie ihm nicht
     wirklich geglaubt hätte, und das tat sie nicht, hätte sie ihm niemals – wie nannte ihre Mutter das noch –
Widerworte
gegeben. Nur ein paar Wochen mit ihrem Großvater hatten sie davon geheilt.
    Der Schalterbeamte sah von seiner Zeitung auf. Mit überheblicher Umständlichkeit nahm er seine Brille ab. April fragte sich,
     wie seine Frau es wohl fand, dass ihm auf seinem Nasenrücken lauter Haare sprießten.
    »Mein Fräulein, ich verkaufe schon länger Fahrkarten nach San Francisco, als du auf der Welt bist. Noch nie hat jemand eine
     Entschädigung verlangt, weil ich ihn woandershin geschickt habe.«
    »Ich wollte nur sichergehen, Sir«, sagte April und setzte ihr süßestes falsches Lächeln auf. Das »Sir« hätte ihrem Großvater
     bestimmt gefallen.
    Der Mann nickte barsch und wandte sich wieder seiner Zeitung zu.
    »Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe. Sie scheinen ja wirklich unheimlich beschäftigt zu sein«, fügte April an. Damit
     wandte sie sich ab und machte sich davon. Sie konnte seine Augen auf ihrem Rücken spüren, marschierte aber trotzdem, ohne
     sich noch einmal umzudrehen, zur Wartehalle. Dort setzte sie sich auf einen der Plastiksessel. Die Wartehalle war nicht annähernd
     so heruntergekommen, wie April erwartet hatte. Sie hatte damit gerechnet, dass es nach Urin stank und lauter Penner, Obdachlose
     und Perverse herumlungerten. Stattdessen schien der Bahnhof fast neu zu sein, geräumig, mit großen Fenstern und sauberen,
     glänzenden Böden. Und voll war es auch nicht. Nur einMann in einem Anzug, der Zeitung las, und ein junges Pärchen, das sich aneinandergekuschelt hatte und zu schlafen versuchte.
     Und eine müde aussehende Mutter, die neben einem Stapel Koffern saß und deren zwei kleine Jungen, die aussahen wie Zwillinge,
     lachend und schreiend in der Wartehalle herumtobten. Die Mutter unternahm keinen Versuch, es zu unterbinden oder sie zum Schweigen
     zu bringen. Sie sah viel zu erschöpft aus, um überhaupt groß etwas machen zu können.
    April erneuerte im Geiste ihren Schwur, nie Kinder zu bekommen.
    Sie zog den Fahrplan hervor. Der Schalterbeamte hatte keinen blassen Dunst, genau wie sie schon vermutet hatte. Emeryville
     lag gar nicht in San Francisco. Es lag auf der anderen Seite der Bucht. Was für ein Scheiß! Wenn die schon eine Eisenbahn
     quer durchs ganze Land bauten, hätte man doch meinen können, dass sie sie auch bis ganz ans Ende bauten, bis nach San Francisco.
     Emeryville kannte doch kein Schwein. Und wie sollten sie jetzt von da nach San Francisco kommen, wo sie kein Auto mehr hatten?
    Darüber würde sie sich später Gedanken machen. Im Moment war es wichtiger, sich irgendwie

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