Die fernen Tage der Liebe
sich glattum dreißig Jahre zurückversetzt, als sie einmal auf allen vieren hinter der Küchentür gelauert hatte, um ihren Daddy zu überraschen.
Aber irgendetwas an seiner Stimme – und an der ihrer Mutter – hatte sie zurückgehalten. Sie hatte zu lauschen versucht, doch
die beiden hatten nur leise gesprochen. Da hatte sie durch den Türspalt gespäht und ihren Vater gesehen, an die Theke gelehnt
wie schon einmal an diesem Tag. Er hatte sehr müde ausgesehen. »Warum musstest du das auch sagen?«, hörte sie ihre Mutter
fragen.
»Der Kerl war ein Arschloch. Hat ihm noch nicht gereicht, alle herumzukommandieren, er musste sie auch noch vor den Kopf stoßen.
Ich habe nur das gesagt, was alle gern gesagt hätten. Der hat Glück gehabt, dass ich ihn nicht k.o. geschlagen habe.«
»Aber wie sollen wir denn jetzt über die Runden kommen, Bill?«
»Mach dir keine Sorgen«, hatte ihr Vater geantwortet, sich von der Theke abgedrückt, aufgerichtet und dabei seine Frau angesehen.
»Für jemanden mit Grips und ein bisschen Mumm gibt es da draußen jederzeit einen Vertreterjob. Ich kriege das schon hin.«
Mary bog nach rechts auf die Grandview ab – offensichtlich ein bisschen zu scharf, denn April funkelte sie kurz von der Seite
an, wandte sich dann aber sofort wieder ab und vermied jeden Blickkontakt.
»Kannst du auch mal freundlich gucken?«, fragte Marcy. April gab jedoch keine Antwort. Das Einzige, was man im Wageninnern
hörte, war der rhythmische, blecherne Lärm, der emsig dafür sorgte, dass Marcy bei ihrer Tochter eines Tages nur noch auf
taube Ohren stoßen würde, und zwar buchstäblich.
Immer erst vorher überlegen, ob der Kampf sich lohnt.
Als sie nach Hause kamen, verschwand April ohne Umschweife in ihrem Zimmer. Marcy warf ihren Schlüsselbund auf den Küchentisch
und ließ sich auf einen der Stühle fallen. Sie überlegte, ob sie lieber etwas kochen oder April vorschlagen sollte, dass sie
ins Diner gingen. Da klingelte das Telefon.
»Hallo, Sie Schöne.«
Der pure Schmalz, aber trotzdem freute Marcy sich.
»Sie hören sich müde an. Möchten Sie vielleicht drüber reden? Zum Beispiel bei einem Kalbsschnitzel in Marsala und einer Flasche
Rotem?«
»Ich glaube, heute Abend rede ich besser erst mal ein Wörtchen mit meiner Tochter.«
»Ah, die Freuden der Pubertät. Ich verstehe schon«, sagte Hank. »Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, hoffe ich.«
Marcy lächelte. »Nein, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«
Sie legte auf und musste an die Frau denken, die sie vor Hank »gewarnt« hatte. Passiert war es bei Marcys erster Kollegenbesprechung
in Anwesenheit aller Teilhaber. Hank hatte einen Vortrag darüber gehalten, wie wichtig es war, bei der Ausschreibung eines
Hauses immer die Vorzüge herauszustreichen. Marcy nahm an, dass er wusste, wovon er sprach. Immerhin fuhr er einen Lexus und
ließ auch – ein bisschen zu offensichtlich – fallen, dass er eine 380 Quadratmeter große Eigentumswohnung am Yachthafen bewohnte.
»Der unersättliche Hank«, nannte er sich selbst und schrieb seinen Erfolg seinem unersättlichen Appetit auf Hausverkäufe zu.
Die Frau neben ihr, deren Namen Marcy vergessen und die auch ein oder zwei Tage danach in der Maklerfirma aufgehört hatte,
hatte sich zu ihr gelehnt und geraunt, dass Hanks Unersättlichkeit eigentlich eher anderen Maklern galt. Maklerinnen, um genau
zu sein. Genau in dem Moment hatte Marcy perplex bemerkt, wie Hank ihr zuzwinkerte.Ihr erster Gedanke war gewesen, ihn abblitzen zu lassen. Aber dieser Job war einfach eine zu große Chance, um einen der Matadore
zu verprellen – wenigstens nicht gleich am Anfang. Außerdem, vielleicht hatte er ja gar nicht ihr zugezwinkert. Vielleicht
hatte das Zwinkern allen Zuhörern gegolten, ein kleiner Referentenkniff, um zu zeigen, wie wohl er sich vor Publikum fühlte.
Marcy zwang sich dazu, seiner Botschaft zu folgen: Immer aus Käufersicht denken. Immer ans Verkaufen denken. Immer an die
Courage denken.
Und genau das machte sie gerade, obwohl sie dabei ein schlechtes Gewissen hatte. Aber was half es schon, dem Unausweichlichen
nicht ins Auge zu sehen? Sie schätzte, dass sie ihrem Vater für sein Haus 150 000, vielleicht auch 200 000 Dollar herausholen konnte. Bei einer Courtage von zweieinhalb Prozent hieß das … ach, zum Henker, das würde sie sich später
ausrechnen. Die erste Hürde war, dass sie ihn davon überzeugte, in eine Einrichtung für
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