Die fernen Tage der Liebe
ich nicht genug für die Schule mache, obwohl ich überall eins stehe. Immer.
Haut Dad ständig in die Pfanne, gibt es aber nicht zu. Immer.
April hörte auf zu tippen. Es lohnte sich nicht weiterzumachen. Unmöglich würde Heather, auch wenn sie noch so viele gemeine
Lügen verbreitete, ihre Mutter verdrängen können.
Eine Instant Message erschien auf ihrem Bildschirm. Natürlich von Heather. »Bist du da????!«
April sah nach, ob sonst noch jemand online war, Keith zum Beispiel. War er natürlich nicht. Logisch, jeder mit einem Hauch
von Leben war jetzt auf Achse und unternahm etwas Interessantes. Bestes Gegenbeispiel: Heather, die offenbar nichts Besseres
zu tun hatte, als über ihr erbärmliches Sexualleben Märchen zu erzählen. Und da Aprils Mutter darauf bestanden hatte, dass
sie zum ersten Mal nach ein paar Jahrhunderten wieder ihren Großvater besuchte, hatte sie nun ebenfalls nichts Interessantes
am Laufen.
April ließ sich auf ihr Bett fallen, lag dann mit hinter dem Kopf verschränkten Armen da und starrte die Decke und ihr
Don’t Care-
Poster an. Noch so ein wunder Punkt bei ihrer Mutter, die wollte, dass sie es abnahm. Laufend drohte sie damit, es selbst
herunterzureißen, weil sie es »unschicklich« fand, im Bett zu liegen und einen Kerl anzugaffen – »besonders dieses widerliche
Exemplar«. Aber wie üblich hatte ihre Mutter keinen blassen Schimmer. Was April interessierte, war gar nicht dieser koksende
Hänfling Ian Max mit seinen viel zu übertriebenen Tattoos und Piercings und der demonstrativen und ordinären Art, wie er zwischen
seinen Beinen auf der Gitarre spielte. Sie konzentrierte sich auf Roxie Reece, die Leadsängerin von DC und gegenwärtige Nummer
eins auf Aprils OO-Liste.
Ihre Mutter hatte gemeint, bei Roxies Namen würde jeder sofort an eine Stripperin denken, aber April war das egal. Sie fand
es klasse, wie Roxie sang, ohne Ian dabei auch nur eines Blickes zu würdigen. Manche Gruppen machten ein Riesentamtam daraus,
wie sie einander beim Spielen und Singen ansahen und gegenseitig anbrüllten. Alle mal hergucken! Wir Rock-Götter haben jede
Menge Spaß, während ihr armen Würstchen da unten uns anbetet. Das war nicht Roxies Stil. Schon an ihrem Gesichtsausdruck konnte
man ablesen, dass es ihr nur um die Musik ging, um ihren Song, und ihr das Publikum oder ihr Aussehen und sogar der völlig
minderbemittelte Gitarrist nebenan schnurzegal waren.
Über ein Special auf MTV hatte April erfahren, dass Roxie aus einer kaputten Familie in Kalifornien stammte. Sie hatte in
einer Ecke von San Francisco namens North Beach abgehangen und eigentlich nur den Bands vor Ort in den Ohren gelegen, dass
sie sie singen lassen sollten. Schließlich hatte sie sich mit Ian Max zusammengetan, und die beiden hatten eine Band gegründet.
Es gab Gerüchte über Roxie und Ian, aber April wusste, dass dieser Schwachkopf Roxie eigentlich nicht die Bohne interessierte.
Nicht Ian, sondern Roxie hatte den besten Song geschrieben. Dem Rolling Stone zufolge war Roxie diejenige, die sich um die
Finanzen kümmerte und die Kautionen bezahlte, wenn Ian wieder mal ein Hotelzimmer verwüstet hatte oder mit einer Sechzehnjährigen
erwischt worden war. Wofür brauchte Roxie Ian überhaupt? Für gar nichts. Das war das Einzige, was April bei ihr nicht verstand.
Warum schickte Roxie diesen Loser denn nicht einfach in die Wüste?
April schrak hoch, als sich plötzlich der Türknauf drehte, gefolgt von gereiztem Klopfen und der Stimme ihrer Mutter. Sie
klang, als würde man mit den Fingernägeln über eine Tafel kratzen.
»April, warum ist abgeschlossen?«
»Weil ich mir gerade LSD reinschiebe.«
»Das ist nicht witzig. Mach auf.«
»Ich ziehe mich gerade um!«, schrie April vom Bett, ohne sich zu rühren. »Meine Güte!«
»Wofür ziehst du dich um?« Die Stimme ihrer Mutter wurde von der Tür nur wenig gedämpft. April fiel ein neuer Songtitel ein:
Door Voices.
Nein, dann würden die Leute denken, da hätte jemand Jim Morrison abgekupfert.
Doors and Voices.
Schon besser.
Voices through Door.
Na bitte!
»Was machst du da drinnen? Du hast mir nicht gesagt, dass du noch ausgehst. Und wer hat dir das überhaupt erlaubt?«
»Ich gehe nicht mehr weg. Mach dir bloß keine Sorgen, ich könnte mir ein bisschen Spaß gönnen«, antwortete April. Sofort biss
sie sich auf die Lippe. Sie hatte aus purem Reflex geantwortet und wie üblich das erste Beste von sich gegeben,
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