Die fernen Tage der Liebe
Verkaufskanone, ein Mann, der Smoothies an Eskimos und Feuerzeuggas an den
Teufel verkaufen konnte – selbst der war doch nur noch ein Abziehbild. Ein 400-Quadrameter-Haus, eine wunderschöne Frau, gescheite
Kinder – und alles im Eimer.
Und was noch hinzu kam: Sein Bruder war in die Fußstapfen des Vaters getreten.
Nick stand auf, so als könne er so die selbstgefällige Genugtuung abschütteln, die er bei dem Gedanken an Mikes Unglück empfand
– ein Unglück, das sich gerade live im Badezimmer abspielte. Nick stellte den Fernseher lauter, um das Würgen zu übertönen.
Die Kombination aus TV-Geblubber und Gewürge sorgte dafür, dass er unruhig im Zimmer herumwandern musste. Sein Blick fiel
auf Mikes Koffer, der schon auf dem Gepäckgestell bereitstand, so als wolle Mike das Hotel alsbald verlassen. Ganz schön optimistisch.
Ein paar Augenblicke später hörte er das Rauschen der Dusche. Nick trat zu Mikes Koffer. Er war zugeklappt, die Schlösser
aber nicht verschlossen oder eingeklinkt. Es wäre ein Leichtes, ihn zu öffnen. Was war schon dabei? Bloß ein verstohlener
Blick. Nur mal gucken.
Er drehte sich zur Badezimmertür um. Das Wasser lief immer noch. Er hob den Deckel des Koffers an. Das Übliche. Die Oberhemden
von der Wäscherei gefaltet und in Folie. Die T-Shirtsund Socken aufgerollt. Vielleicht fand er ja unter den Hemden etwas Interessantes. Er griff hinein.
Als er endlich registrierte, dass das Duschgeräusch plötzlich lauter geworden war und das Licht aus dem Bad die Wand vor ihm
erhellte, war es schon zu spät. Nick drehte sich um. Mike stand im Licht des Badezimmers, ein Handtuch um die Hüften. Offenbar
hatte er sich ziemlich in Form gehalten. Außerdem schien ihn das hörbare Zeugnis seines jämmerlichen Zustands noch vor wenigen
Minuten zuvor nicht im Mindesten zu bekümmern. »Die Brieftasche liegt auf der Kommode«, sagte er. »Be dien dich.«
»Was?«, antwortete Nick. »Ich wollte doch …«
Mike ließ ihn zappeln.
Augen zu und durch. »Du siehst besser aus. Wie fühlst du dich?«
»Fit wie ein Turnschuh«, antwortete Mike. Nick erkannte den abgedroschenen Spruch seines Vaters sofort wieder, kommentierte
ihn aber nicht. »Wo ist Marcy?«, fragte Mike.
»Wollte ein paar Lebensmittel einkaufen.«
Mike nickte und sah sich im Zimmer um. »Wo habt ihr zwei geschlafen?«
»Marcy auf der Couch und ich da drin.« Nick wies mit dem Kopf in Richtung Sessel.
»Schätze, ich war wohl gestern Abend kein besonders guter Gastgeber.« Das sollte wohl eine Entschuldigung sein.
Mike nahm das Handtuch von der Hüfte und fing an, sich abzutrocknen. Er stellte seinen rechten Fuß auf das Bett, damit er
sein Bein abrubbeln konnte, aber auch, um … ja was eigentlich? Um seine Genitalien zu präsentieren wie ein Alpha-Hund? Um
seine grenzenlose Verachtung zu zeigen? Nick wurde rot.
»Ich nehme mal an, ihr beiden Genies habt noch nicht rausgefunden,wie ihr April wieder zurückbekommen wollt, oder?«, fragte Mike.
Zum ersten Mal seit Jahren sahen sich die beiden in die Augen.
»Du denn?«, fragte Nick.
Mike ließ das Handtuch knallen, dann nahm er sich das andere Bein vor. Er rubbelte wie ein Berserker. Nick wusste, das sollte
ihm demonstrieren, dass für richtige Männer die ganze Welt nur eine Umkleidekabine war. »Ein berühmter Mann hat mal gesagt:
Ich habe keinen Hund in diesem Kampf.«
»Wir reden hier nicht über Hunde, Mike. Warum ziehst du dir nicht was an und erklärst mir dann, was du meinst? Es geht hier
um unsere Nichte. Und um Dad.«
Lachend schüttelte Mike den Kopf, während er sich das Handtuch wieder um die Hüfe schlang.
»Nein, geht es nicht, Nick. Es geht darum, wie ihr beiden das heraufbeschworen habt.«
»Was soll das denn heißen?«
»Oder muss es heißen: herbeibeschworen? Du bist ja hier der Schreiberling.«
»Hör auf mit dem Scheiß und sag mir, was du damit meinst.«
Mike stemmte die Hände in die Hüften. »Also schön. Wie du willst. Ihr beiden habt ihn vom Haken gelassen.«
»Wen vom Haken gelassen?« fragte Nick und ärgerte sich schon, dass er sich hatte provozieren lassen. Jetzt musste er diesem
… diesem
Betrunkenen
auch noch zuhören. Seinem betrunkenen Bruder, der, wie Bobby Gallagher es wahrscheinlich ausgedrückt hätte, und zwar zu Recht,
alles in den Sand gesetzt hatte. Er hatte die perfekte Familie gehabt und versaut. Wusste er überhaupt, wie viele Leute sich
nach dem sehnten, was er gehabt hatte –
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