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Die fernen Tage der Liebe

Die fernen Tage der Liebe

Titel: Die fernen Tage der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James King
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bisschen
     Angst vor ihrer Mutter zu haben – was komisch war, war er doch immerhin ihr Vater. Aber April war aufgefallen, dass jedes
     Mal, wenn ihre Mutter sie vorbeibrachte oder wieder abholte, ihr Großvater sie beinahe in einem Bübchen-Ton fragte, ob sie
     schon Nick oder Mike angerufen hatte. Worauf sie jedes Mal einen ihrer Jesus-am-Kreuz-Seufzer vom Stapel ließ und ihm erklärte,
     sie habe Nachrichten hinterlassen, wie oft sie ihm das denn eigentlich noch sagen müsse. Und Grandpa, dem kürzlich die Ehre
     des ersten und einzigen Eintrags in der Liste von Anzeichen intelligenten Lebens zuteil geworden war, gefährdete daraufhin
     seine Platzierung damit, dass er nur lammfromm nickte.
    Der Himmel mochte wissen, was die Frau ihm jetzt antun würde. Aber ihr Großvater hatte darauf bestanden mitzukommen. April
     hatte versucht, es ihm auszureden, das würde nur alles vermasseln. Er hatte ihr gesagt, sie solle sich wegen ihrer Mutter
     keine Gedanken machen, die würde dankbar sein, weil sie ganz besonders vorsichtig gewesen waren und sich vergewissert hatten,
     dass auch wirklich alles in Ordnung war.
    April staunte, wie ein Vater seine Tochter so wenig kennen konnte.
    »Hast du was an, Mädchen?«
    »Kannst reinkommen, Grandpa.«
    Ihr Großvater schob den Vorhang beiseite und spähte herein, als hätte er jemand anderen erwartet. Er trug immer noch seine
     schwere Karojacke, die April Holzfäller-Spezial getauft hatte, und seine hundert Jahre alten Gummistiefel, die sogar vorne
     noch eine Reihe Metallschnallen besaßen. »Wie geht es dir?«
    »Genauso wie bei den letzten fünfzig Malen, die du gefragt hast. Können wir hier verschwinden?«
    Er nickte. »Der Arzt müsste gleich da sein«, sagte er. »Er will, dass du dich noch ein paar Minuten hinsetzt. Zeig mir mal
     deine Stiche.«
    April erklärte ihm, sie wolle den Verband nicht abnehmen. In der kleinen Zelle stand kein Stuhl, deshalb rutschte sie auf
     dem Bett zur Seite und machte ihm Zeichen, sich neben sie zu setzen. Als er das tat, konnte sie riechen, dass er seine Pfeife
     geraucht hatte. Der Geruch war in Verbindung mit dem Gefühl seines Gewichts neben ihr ebenso tröstlich wie verwirrend: Plötzlich
     wollte sie weinen. Aber das wäre ja wohl oberpeinlich. Sich wegen ein paar Stichen anzustellen wie ein Baby. Trotzdem hätte
     sie sich tief drinnen jetzt nichts mehr gewünscht, als dass ihr Großvater sie ganz fest in den Arm nahm und sie ihren Kopf
     an seine müffelnde Karojacke legen konnte.
    »Wie schlimm hat es das Auto erwischt?«, schaffte sie zu fragen.
    Die Frage schien ihn zu überraschen. Er stierte nur vor sich hin so wie manchmal, wenn sie fuhr.
Erde an Grandpa,
rief sie dann manchmal. Aber jetzt traute sie dafür ihrer eigenen Stimme zu wenig.
    »Auf der Beifahrerseite ein bisschen eingedellt«, antwortete er schließlich. »Der Scheinwerfer geht noch, vielleicht muss
     er ausgewechselt werden. Aber alles in allem ist es gar nicht so schlimm.«
    Das komische Gefühl war inzwischen bis zu Aprils Hals gewandert, wo es zu explodieren drohte. »Es tut mir so leid.«
    »Dieses Auto hatte ein ziemlich … wie soll ich sagen… behütetes Leben.« Ihr Großvater tätschelte ihr die Hand und fuhr dann
     fort: »Es ist … warte mal … 25 Jahre alt. War nie in einen Unfall verwickelt. Irgendwie ist das doch nicht fair. Es gibt keinen
     vernünftigen Grund anzunehmen, dass man solange lebt und nicht ein paar Beulen und Schrammen abkriegt. Früher oder später
     kommt die Quittung. Das mit dem früher oder später hat mir Clare immer gesagt, deine Großmutter …«
    Er schwieg abrupt und stierte zu Boden. April wusste nicht recht, was sie machen sollte. Es war einer von diesen peinlichen
     Momenten, die sie ebenso verwirrend wie irritierend fand. Machte ihr Großvater nur gute Miene zum bösen Spiel und war in Wahrheit
     richtig stinksauer? Wollte er, dass sie sich noch einmal entschuldigte?
Sie
wollte es unbedingt. Aber er schien plötzlich irgendwie am Ende seiner Kraft zu sein, und sie war sich nicht sicher, was ihre
     Worte auslösen würden. Vielleicht sagte er ihr, tut mir leid, aber das reicht mir nicht. Vielleicht sagte er ihr, dass er
     es verstand. Oder vielleicht sagte er ihr auch, und das wäre am schlimmsten, dass die Fahrstunden doch keine so gute Idee
     gewesen waren.
    »Wie auch immer«, meldete er sich plötzlich. »Eine Menge Leute wissen nicht genau, was sie machen sollen, wenn sie ins Rutschen
     kommen. Andererseits

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