Die fernen Tage der Liebe
Marcy.
»Tust du doch. Kannst du denn nicht wenigstens wegen dieser Sache sauer auf ihn sein?«
»Dieser Sache? Welcher Sache? Ich sage es nur ungern, aber diese Sache hier hat April vom Zaun gebrochen. Du kannst dir ja
gar nicht vorstellen, was sie sich zu Hause alles geleistet hat. Der Alte ist auch mit von der Partie, das stimmt. Aber der
ist auch nicht mehr ganz richtig im Kopf. Man kann ihm nicht allein die Schuld geben. Sieh das doch endlich mal ein.«
»Ich kann dir sagen, was ich sehe: Ich sehe eine Frau, die so gestört ist, dass sie sich aus irgendeinem Grund verpflichtet
fühlt, den Mann zu verteidigen, den sie noch nicht einmal freiwillig Dad nennt. Es ist nicht gesund, wie du deinen Zorn unterdrückst,
Marcy. Und außerdem fängt es an, mir gehörig auf die Nerven zu gehen.«
Normalerweise hätte Marcy nach so einer Bemerkung ihrenplötzlich hochjagenden Blutdruck wieder beruhigt, indem sie eine Schimpftirade losließ, die jeden Feldwebel vor Neid hätte
erblassen lassen. Aber Hank hatte ihr beigebracht, dass zum Beispiel Kunden, die wütend wurden und einen vielleicht sogar
beschimpften, eigentlich wütend auf die Situation waren, nicht auf einen selbst. In diesem Falle war es am besten, wenn man
den Kunden ruhig Dampf ablassen ließ und seinen Ärger ernst nahm, ohne ihn persönlich zu nehmen, um ihn dann ruhig und sachlich
wieder an die Vorteile einer Zusammenarbeit zu erinnern. Es funktionierte. Sie wusste, dass es funktionierte, denn sie war
selbst dabei gewesen, als Hank es vorexerziert hatte.
»Nick, ich spüre, dass du verärgert bist. Vielleicht sollten wir uns erst einmal ein paar Minuten Atempause gönnen. Dann können
wir in Ruhe über die Sache reden. Ich bin sicher, eine ruhigere Haltung würde uns beiden guttun.«
Nick wandte den Kopf und schaute zu ihr hinüber. In der phosphorgrünen Spiegelung der Armaturenbrettbeleuchtung sah sie, dass
er sie ungläubig anglotzte. Trotzdem wartete sie noch einen Moment. Und dann brachen sie beide gleichzeitig in Gelächter aus.
Nick verlor beinahe die Kontrolle über den Wagen.
Eine ganze Weile sagten sie gar nichts. Aber hier und da fingen sie immer wieder an zu lachen. Nick begann, die Namen der
Ausfahren laut vorzulesen, und egal, ob Elkhart,
Indiana
, La-Porte,
Indiana
oder Valparaiso,
Indiana
kam, jedes Mal schütteten sie sich aus vor Lachen.
Und als Nick dann auch noch Gary,
Indiana
ausrief, bekam Marcy einen solchen Lachanfall, dass sie meinte, sie müsse ersticken.
21
Während die roten und blauen Lichtstrahlen von den Spiegeln und Scheiben prallten, überlegte Bill Warrington, wie er nur seine
Enkeltochter beruhigen sollte. Sie hielt weiter krampfhaft das Lenkrad umklammert, so als führe sie noch. Links auf zehn Uhr
und rechts auf vier Uhr.
»Was macht der?«, fragte sie. »Warum sitzt er da?«
»Er geht nur die Nummernschilder durch«, erklärte Bill. »Um sicherzugehen, dass wir keine Autodiebe sind, Desperados auf der
Flucht. Bonnie und …«
»Das geht übel aus«, sagte April.
Etwas hielt ihn davon ab, den Arm auszustrecken und ihre Hand zu halten – obwohl er wusste, dass er genau das hätte machen
sollen. Er konnte sich noch daran erinnern, wann das angefangen hatte, dass Väter ihre Söhne umarmten, anstatt ihnen die Hand
zu schütteln. Es hatte zur gleichen Zeit angefangen wie dieses weibische Soul-Brother-Handabklatschen. Ganz typisch für Drückeberger
und Schwuchteln. »Gewöhn dir gefälligst einen Männerhändedruck an«, hatte er Nick einmal angeblafft, als er gesehen hatte,
wie der einen Schulfreund so begrüßte.
»Aber so nennst du ihn gleich bitte nicht, in Ordnung, Grandpa?«, bat April.
»Wen soll ich nicht wie nennen?«
»Den Polizisten. Eine Schwuchtel. Du hast da gerade irgendwas von Schwuchteln gebrummelt.«
Bill zwang sich zu lachen. Hatte er tatsächlich gebrummelt?
Am Seitenfenster kam ein blaues Hemd mit schwarzem Schlips zum Vorschein. Dann folgte ein Klopfen gegen die Scheibe.
»Kurbeln sie mal die Scheibe runter, Schätzchen.«
April kurbelte zuerst in die falsche Richtung. »Warum hast du auch kein Auto mit normalen Fenstern?«, fragte sie und war kurz
davor, in Tränen auszubrechen. Sie wechselte die Richtung und zitterte dabei.
Der Trooper trat einen Schritt zurück, damit er sich hinabbeugen und einen Blick ins Auto werfen konnte. Heutzutage war das
ja schwer zu sagen, aber Bill schätzte ihn auf Ende dreißig, Anfang vierzig.
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