Die Festung der Titanen
die in allen Farben des Regenbogens glitzerte. »Desina verzweifelte einst daran, wie sie Wasser schaffen konnte … für mich braucht es jetzt nicht mehr als einen Gedanken.« Ich ließ das Wasser zwischen meinen Fingern verlaufen und in den See tropfen, wo es für einen Moment noch leuchtete. »Die Erfahrungen, das Wissen, die Talente von Tausenden von Leben … sie sind jetzt mein, wenn ich es nur will. All das, was ich vorher nicht verstand, verstehe ich jetzt, Dutzende, nein Hunderte von Schriftgelehrten, die ihr ganzes Leben dafür opferten, die Welt, wie sie ist, zu verstehen und zu erklären, sie haben mir die Früchte ihrer Arbeit hinterlassen.«
»Weißt du wahrlich alles?«, fragte sie mich fast schon ehrfürchtig, und ich lachte.
»Alles? Nein!« Ich schüttelte den Kopf. »Nur vieles. Es wäre auch schade, wenn es keine Wunder mehr für mich gäbe … und es gibt sie, die Wunder, Finna. Je mehr ich weiß, umso mehr verstehe ich, dass es noch mehr gibt, hinter jeder Erklärung wartet ein neues Rätsel, eine neue wundersame Herausforderung, eine neue Suche nach dem nächsten Wunder, das sich nicht erklären lässt. Es ist noch genügend in der Welt, das mich staunen lassen kann … nur sehe ich die Welt nun anders.« Ich schaute zu ihr hin, musterte sie sorgfältig, jede Wimper, jede Falte, jede Sommersprosse, den Schwung ihrer Lippen, den Blick ihrer Augen, und machte mir ein Bild von ihr, das ich in meinem Herzen aufbewahren würde bis zu meinem Ende. »Doch es verändert mich«, gestand ich ihr leise. »Erstaunlicherweise nicht in dem, wer ich bin, diese Furcht hat sich als haltlos erwiesen. Aber in meinen Möglichkeiten. Finna …«, sagte ich rau. »Ich habe Angst vor dem, was ich tun werde.«
»Du meinst, vor dem, was du tun könntest?«, fragte sie.
»Nein«, gab ich ihr leise Antwort. »Vor dem, was ich tun werde. Was ich tun muss.« Ich sah hoch zu den Lichtern über mir, dann weiter hoch zu Soltars Tuch. »Ich glaube, selbst die Götter fürchten sich davor.«
»Was kann ich tun?«, fragte sie leise.
»Sei du nur du«, bat ich sie. »Sei für mich der Anker, der mich in so vielen Leben gehalten hat.«
Sie lachte leise. »Es sind nur zwei, Havald.«
Ich sagte nichts dazu, ich wusste, dass sie irrte. Sie behauptete, dass sie mich wiedererkennen würde, egal in welchem Leben, und ich glaubte ihr. Denn das Gleiche galt für mich, denn ich wusste jetzt, wer das Mädchen gewesen war das lachend ihre Katze bemalte. Ich sah zu Zokora und Varosch hinüber und begegnete dem Blick der alten Enke, von der ich mehr und mehr vermutete, dass sie weit mehr war als nur die Hexe aus dem Blubbermoor. Wie oft waren wir uns schon begegnet, wie oft hatte das Schicksal oder der Wille der Götter uns schon zusammengeführt, wie oft hatten wir diesen gleichen Kampf schon bestritten?
Irgendwann musste es ein Ende finden. Oder einen neuen Anfang.
»Kommt ihr?«, rief Varosch, und ich nickte. »Sogleich.« Denn so eilig konnten wir es nicht haben, dass nicht noch Zeit war, in Serafines Lippen zu versinken.
Als wir den riesenhaften Wächter erreichten, der still und dunkel in dem Tunnel stand, blieb ich zurück, gab an, zu schauen, ob sich ein Stein in Zeus’ Hufen verfangen hatte, und wandte mich dann dem schweigsamen Gesellen zu. Einst hatte etwas ihm ein Loch in seinen Panzer gebrannt, zugleich es aber auch so verschmolzen, dass es ihn gegen die Zeit versiegelt hatte. Ich fand, was ich suchte, ein winziger Kristall, der nur etwas gedreht werden musste und einer kleinen Anregung bedurfte.
Als ich weiterritt, glühte und funkelte es unter dem grünen Glas, es würde dauern, doch irgendwann würde der Wächter wieder erwachen und erneut seiner Bestimmung folgen. Nichts von dieser Welt war dann noch imstande, diesen Tunnel zu passieren.
Als ich wieder
Weitere Kostenlose Bücher