Die Festung der Titanen
beide. Esire, die die Hände in ihr Kleid gekrallt hatte, nickte nur, aber natürlich musste Leandra nachfragen.
»Wovon?«
»Davon«, antwortete ich und legte meine Hände sanft auf Hreldes zerschmettertes Bein. Aleyte hatte nicht gelogen, er war ein guter Chirurg gewesen, nach mehr hatte er auch nie gestrebt. Ich wusste, was ich tat, und doch verstand ich es nicht zur Gänze, also überließ ich es ihm, seinem Wissen, seiner Erfahrung und seinen geschickten Händen und seiner Magie, die hier, wo der Weltenstrom nur einige Meilen entfernt unter dem Hammerkopf sich kreuzte, überreichlich vorhanden war.
Ein Bein war für mich ein Bein gewesen, ich wusste, dass es darin Knochen gab und Muskeln, Adern, aus denen man bluten konnte, aber Aleytes Augen sahen dort ein ganzes wundersames Universum, in dem alles einen Sinn und Zweck, einen Platz und eine Aufgabe besaß. Eine Welt, die er nun wieder so ordnete, wie es richtig war. Bei mir hinterließ es ein Gefühl des Staunens und des Wunderns und eine tiefe Befriedigung, wie ich sie zuvor nur kannte, wenn ich meine Möbel baute. Auf einmal fühlte ich überraschend doch noch Mitleid mit Arkin, es war ein armes Leben, wenn man nur Zerstörung kannte.
Langsam nahm ich meine Hände von den blutigen Verbänden und setzte mich zurück auf meine Fersen, jetzt verstand ich besser, wie es Menschen wie Bruder Jon oder Gerlon möglich war, ihr Leben in den Dienst der Götter zu stellen, oder wie Orikes jahrzehntelang zu lernen und zu studieren, um ein Medikus zu werden.
Aleyte und der Verschlinger, zum Schluss waren sie beide eins gewesen, hatte er sich damit abgefunden, dass er ein Ungeheuer war. Doch zuvor, in einer jungen Welt, war er kein Ungeheuer gewesen, sondern jemand, der Freude daraus gezogen hatte, anderen zu helfen. Ich hoffte, dass er meinen leisen Dank vernahm.
»Was …«, flüsterte Leandra ergriffen, als ich meinen Dolch zog und vorsichtig die blutigen Verbände auftrennte, um ein schlankes, gerades, gesundes Bein freizulegen, das sich nun auch Hrelde staunend besah. »Was … was hast du getan?«
»Etwas, das gut und richtig ist«, antwortete ich ihr heiser und sah zu Esire hin. »Es darf niemand wissen«, bat ich sie. »Niemand außer Ragnar.«
»Warum nicht?«, flüsterte Esire und stellte damit die Frage, die auch Leandra auf den Lippen brannte.
»Es ist zu früh.«
Wie ich erfuhr, war der alte Selfreid vor zwei Monden friedlich zu Soltar gegangen, doch Gelfreid, sein Sohn, hätte Leandra auch sein letztes Hemd gegeben, hätte sie nur danach gefragt. Allerdings nicht ohne eine Entlohnung, was ganz im Sinne seines Vaters war, dessen Vater wiederum in die Tür zu seinem Gasthof die Wörter »Selbst die Götter sind willkommen, solange sie die Zeche zahlen« mit einem heißen Eisen eingebrannt hatte. Seitdem ein Scherzbold ihm ein Glas mit Zecken hingestellt hatte, war der Buchstabe nachgezeichnet worden, allerdings war das dann zu spät gewesen, und jetzt war Coldenstatt im ganzen Reich der einzige Ort, wo man die Zecke zahlte.
Selbst Leandra schmunzelte, als sie den Spruch las.
»Ich habe Gelfreids Großvater angeboten, eine neue Tür für ihn zu zimmern«, teilte ich ihr lächelnd mit, als uns der Wirt in den privaten Schankraum führte. »Aber dafür ist er zu knauserig gewesen.«
»Mit gutem Grund«, sagte Gelfreid grinsend. »Es war eine gute Tür, wie man auch heute noch sieht, sie schließt noch immer und hat sich kaum verzogen.« Er schaute unterwürfig zu Leandra hin. »Wir haben nur noch ein Schwein, doch wenn Ihr wünscht, kann ich ein Ferkel schlachten, sonst haben wir nur noch etwas Wurst und Gemüse übrig, wir sind an allem etwas knapp.«
»Was tischt Er seinen anderen Gästen auf?«, fragte Leandra, während sie ihre
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