Die Festung des Teufels
ein entlaufenes Haustier ging. Sie schenkte Sayid ein mitfühlendes Lächeln.
16
I n seinem kurzen Leben hatte ! Koga bereits furchtbare Angst ausgestanden. Damals, als die Jäger, die einen Spießbock erlegt hatten, von einem Löwen angegriffen wurden, sah er sich plötzlich einer wütend knurrenden Löwin gegenüber. Er war so in Panik geraten, dass er kreischend Steine nach ihr geworfen hatte, bis sie unter dem Hagel seiner Geschosse zurückgewichen war. Das hatte ihm den Respekt der anderen Männer eingebracht. Aber es war nicht die Angst vor der Löwin, die sich in seinem Herzen eingenistet hatte, sondern der Anblick des sterbenden Spießbocks. Er war zu dem Tier von der Größe eines kleinen Pferdes hinübergegangen und hatte sein Messer gezogen. Das Pfeilgift entfaltete seine Wirkung nur langsam, aber jetzt war das zentrale Nervensystem des Tieres gelähmt, und es lag hilflos vor ihm.
!Koga kniete sich neben seinen Kopf und dankte dem Spießbock, dass er sich dem Geschick der Jäger zum Opfer dargeboten hatte. Er legte seine Hand auf die weiche Schnauze und zögerte. Die braunen Augen des Spießbocks blickten wie die eines Bruders zu ihm auf. ! Koga erstarrte und ließ das Messer fallen. Der Bock sah ihn bis zum letzten Herzschlag an. Und als dann das Leben aus seinen Augen wich, ahnte ! Koga etwas von der langen einsamen Reise, die eines Tages mit seinem eigenen Tod für ihn beginnen würde. Und das machte ihm Angst. Nicht der Tod, sondern die Reise danach. Es war dieselbe Angst, dieauch jetzt sein Herz berührte, nachdem Max ihn gebeten hatte, ihn eine Weile allein zu lassen.
Max saß auf dem Pilotensitz. Irgendwo da draußen war das Ungeheuer, das der Atem des Teufels genannt wurde, und er musste den Weg dorthin finden. Aber mehr noch als der verzweifelte Wunsch, seinen Vater zu retten, beunruhigte ihn jetzt etwas anderes. Ein Grauen erfasste ihn, eine Stille, die alles verschluckte, was man mit Ohren hören konnte. Er wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Leise, beinahe flüsternd, bat er !Koga, das Tarnnetz herunterzuziehen und im hohen Gras auf ihn zu warten. Ein letzter vernünftiger Gedanke: Das Flugzeug musste in seinem Versteck bleiben.
!Koga hatte Max in die Augen gesehen und erkannt, dass nun die Reise des Todes begann. Er konnte sich nicht vorstellen, was sein Freund jetzt sah oder wohin der Gestaltwandler in seinem Kopf ihn führen würde, aber es war unbekanntes Land, und ! Koga wusste wie alle Jäger, dass jede Wildnis ihre eigenen grausamen Bestien beherbergte. Max’ Augen sahen aus wie die des sterbenden Tieres, an die ! Koga sich so gut erinnerte. Voller Angst, dass die Reise seines Freundes auch seine eigene Seele ins Unbekannte mitnehmen könnte, schlich er lautlos davon.
Was auch immer geschehen war, als Max diese übernatürliche Energie verspürt hatte, er verstand es nicht. Bakoko, der Gestaltwandler, hatte diese Fähigkeit in ihm freigesetzt, aber Max dachte unsinnigerweise, das sei so, als lerne man Motorradfahren. Ihm stand eine Macht zur Verfügung, die ihn erschreckte und begeisterte, und die ihn, wenn er nicht richtig damit umzugehen verstand, töten konnte. Doch es war niemand da, der ihm sagen konnte, wie er diese ungeheuren Gefühle beherrschen sollte. Wenn ein Gestaltwandler genugErfahrung gesammelt hatte und die Energien richtig nutzte, würde sich seine körperliche Gestalt verändern. Bis zu seiner ersten eigenen Erfahrung damit, hatte der Gedanke, eine andere Kreatur werden zu können, seinem rationalen Wesen sehr ferngelegen – totaler Quatsch, hätte er dazu gesagt. Und nun wurde er wieder in diese Macht hineingezogen: Sie rief ihn aus dem Innersten seines Körpers an.
Max hatte das Gefühl, in seinem eigenen Körper zu sitzen und nach draußen zu schauen. Und als ! Koga das Tarnnetz über die Nase des Flugzeugs zog – ganz vorsichtig, damit es sich nicht im Propeller verfing –, schien für Max die Zeit stehen zu bleiben. Er hörte nichts, er sah nichts, außer so etwas wie das Dämmerlicht eines Höhleneingangs. ! Koga legte die Zweige auf das Netz zurück, sodass es im Cockpit noch dunkler wurde und nur noch einzelne Lichtstrahlen zu ihm durchdrangen.
Er wartete schweigend, versuchte, sich auf einen Ort zu konzentrieren, der still und abgeschieden war wie ein Teich im Wald. Sein Kopf sank nach vorn, die Müdigkeit überwältigte ihn, ein schlafähnlicher Zustand trug ihn fort.
Ein heftiger Ruck durchfuhr ihn, und er stöhnte auf. Als hätte eine
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