Die Festung des Teufels
konnte es jederzeit abrufen. Adler schossen wie Pistolenkugeln im Angriffsflug auf ihre Beute herab. Das konnte Max auch. Die Konzentration darauf drängte seine Panik in den Hintergrund. Und plötzlich war alles anders. Er gewann die Kontrolle zurück und drückte die Arme – oder waren es Flügel? – an die Seite. Der Wind schlug ihm ins Gesicht, die Erde raste ihm entgegen, es riss ihm fast die Arme aus, als er die Flügel spreizte, aber das verlangsamte seinen Sturz, und er jagte im Gleitflug zwischen die Bäume. Noch zu hastig! Äste und Zweige peitschten ihn von allen Seiten.
Und dann war alles schwarz.
Er erwachte im hinteren Teil des Cockpits, zusammengerollt wie ein Jockey, der beim Rennen vom Pferd gestürzt war und wusste, dass hundert mit Eisen beschlagene Hufe auf ihn zugedonnert kamen.
Max schleppte seinen schmerzenden Körper aus dem Flugzeug und ruhte sich kurz im warmen Schatten aus. Er nahm eine Handvoll Erde und roch daran. Der Erdgeruch Afrikas gab ihm das beruhigende Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
!Koga wartete nervös am Rand des Elefantenpfads und war sichtlich erleichtert, als Max durch die Bäume auf ihn zutrat. Er berührte die Schnittwunde an Max’ Schulter. Sie hatte die Länge einer Handfläche und war nur oberflächlich, brannte aber wie Feuer.
»Ich muss im Cockpit nach hinten gefallen sein«, beantworteteMax seinen fragenden Blick. Die Wahrheit machte ihm genauso viel Angst wie das, was er erlebt hatte. Wenn er fähig war, die Gestalt eines Vogels anzunehmen, dann bestand die durchaus realistische Gefahr, dass er angegriffen und verletzt oder getötet werden konnte.
Vielleicht hatte er sich das alles nur eingebildet. Vielleicht hatte er sich die Schulter tatsächlich bei einem Sturz im Flugzeug verletzt. Zumindest konnte er sich das vorläufig einreden.
Sie brachen auf, und während sie in gleichmäßigem Tempo durch die Savanne marschierten, prägte sich das Gelände wie eine dreidimensionale Karte in Max’ Gedächtnis ein. Als nach ein paar Stunden die Vormittagshitze unerträglich wurde, machten sie im Schutz eines überhängenden Felsens Rast. Max breitete die Landkarten aus. Seine eigene war so zerknittert, dass sie kaum noch brauchbar war. Das Messtischblatt seines Vaters war da schon nützlicher. Und die hydrologische Karte. Er verglich die beiden Karten seines Vaters mit dem, was er aus der Luft vom Atem des Teufels gesehen hatte, und bemerkte, dass eine der blauen Adern als unterirdischer Strom direkt von dem klaffenden Loch zu Skeleton Rock führte. Rätselhaft blieb die dünne Linie, die davon abzweigte, aber vielleicht wurde das Flusssystem von dem unterirdischen Wasserlauf gespeist. Max machte sich heftige Vorwürfe. Wie dumm von ihm! Er hatte das Fort doch buchstäblich aus der Vogelperspektive gesehen. Er hätte alles erkunden können, was er wissen musste. Der Fluss und die Krokodile bildeten ein natürliches Hindernis, aber er hätte ja ohne Weiteres in die Festung hineinfliegen können. Er hätte herumspionieren können. Mussten dort nicht Vorräte angeliefert werden? Holten sie ihr Trinkwasser aus dem Fluss? Wenn ja, gab es eine Filteranlage? Und woher nahmensie den dafür nötigen Strom? Antworten auf diese Fragen hätten ihm vielleicht einen Weg in das Fort weisen können. Alles hatte ihn nach Skeleton Rock geführt. Max zweifelte nicht daran, dass er dort genauere Hinweise auf den Aufenthaltsort seines Vaters finden würde. Aber die Erinnerung an seinen letzten Flug versetzte ihn in Panik. Schon zitterten seine Hände wieder. Der stechende Blick des Adlers, die Krallen, die nach seinem Kopf geschlagen hatten. Er glaubte zu spüren, wie sie seine Brust packten, wie sie ihm Herz und Lungenflügel durchbohrten, und wie ihn dann in diesen qualvollen Sekunden der scharfe Schnabel in Stücke riss. Der reine Horror! Die Wahrheit war, er hatte sich das Fort nicht genauer angesehen, weil er solche Angst gehabt hatte.
Natürlich war er auch fasziniert davon, dass er die Gestalt eines Tieres annehmen konnte, aber das jähe Eintauchen in diese Zwischenwelt hatte ihn extrem mitgenommen.
Es war ja auch nicht so, dass er das tun konnte, wann immer er wollte. So einfach war die Sache nicht, wie einen Mantel an- oder auszuziehen, sondern es hing offenbar von den Umständen ab. Wahrscheinlich spielten seine Gefühle dabei eine Rolle, vielleicht lösten sie diese Fähigkeit in ihm aus. Er kam nicht dahinter.
!Koga, der ihn beobachtet
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