Die Festung
auch
zu ihnen ziehen, Platz sei genug. Der erste Mann lehnte jedoch Frau und Kinder
ab, er verlangte zumindest die Hälfte seines gesamten Eigentums, denn er war
ebensowenig schuld daran, daß er lebte, während ihn der Kadi für tot erklärt
hatte. Und es war ihm lieber so als umgekehrt. Und nun sorgte er dafür, daß er
ständig jenen unter den Augen war, die über
eine Lösung dieser verworrenen Situation zu entscheiden hatten.
Jetzt begann ich zu lachen. Der
Schnaps tat seine Wirkung.
»Und das nennst du eine alltägliche
Geschichte!«
»Ist es ja auch. Das Grundstück
gehört mir, die Kinder ihm. Was ist daran unklar?«
In diesem Augenblick kam ohne Eile
Džemal Zafranija aus dem Mittelzimmer, mit einer Brille, die ihm nicht viel
nützte, dafür sah er mit dem Gehör, das äußerst fein war, um danach aus der
Nähe das Vernommene mit seinen schwachen Augen zu überprüfen. Unser lautes
Gelächter hatte ihn angelockt, das war hier eine Seltenheit.
»Bei euch ist es lustig«, sagte er
liebenswürdig lächelnd. Er lächelte immer, war immer liebenswürdig.
»Offenbar gibt es stets etwas zu
lachen, wenn über das wirkliche Leben gesprochen wird«, sagte mein neuer Bekannter,
der mich durch diese Bemerkung in Erstaunen setzte. Sie war klüger, als ich
erwartet hätte.
Dann wandte er sich zu mir.
»Kennst du Džemal-efendi? Er ist
Schreiber beim Kadi. Ein guter Mensch.«
»Wir waren zusammen in der Medresse.
Džemal-efendi ist nur etwas jünger als ich. Die Ohren habe ich ihm langgezogen
wegen der Logik. Wir kennen uns gut.«
»Ich glaube, jetzt bin ich in Logik
besser als du.«
»Sicher. Mein Jahreslohn sind
fünfundzwanzig Groschen. Soviel bekommst du für ein einziges Lächeln.«
Er lachte fröhlich wie über einen
hübschen Scherz. »Warum besuchst du mich nicht?«
»Weil ich dir nicht die kostbare
Zeit stehlen will.«
»Setz dich, Džemal-efendi, trink
einen mit uns«, bestürmte ihn der ehemalige Gefangene. »Ich habe nicht gewußt,
daß ihr Freunde seid.«
»Danke, ich trinke nicht.«
»Er trinkt nicht, raucht nicht, hat
keine Laster. Außer denen, die er geheimhält.«
Ich mochte ihn nicht, er hatte mich
immer abgestoßen mit seinem falschen Lächeln, seiner gefährlichen Liebenswürdigkeit,
seiner Schnüffelei, auch als ich stärker war als er. Und jetzt erst recht. Ich
mochte Menschen nicht, die beim Kadi arbeiteten. Wäre sein Rückgrat aus Eisen
gewesen, es wäre binnen zwei Monaten gebrochen. Er aber war schon seit zwei
Jahren Schreiber und würde es nicht lange bleiben, er würde einen höheren
Posten bekommen. Ihn brauchte man auch nicht zu brechen, er bog sich bei der
ersten Berührung. Er war wie Wasser, ohne eigene Form, er paßte sich dem Gefäß
an, in das man ihn goß. Nichts war ihm zuwider, wenn es ihm nützlich sein
konnte, denn er hatte ein einziges Ziel im Leben: Erfolg zu haben, die
Erinnerung an seine ärmliche Kindheit und den Vater loszuwerden, der als
Gefängniswächter, Trinker und jedermanns Spion verachtet gestorben war,
während sein Sohn selbst aus dieser Familientragödie Vorteile schlug: Indem er
das Opfer spielte, bis er auf eigenen Füßen stand, und bei den Mächtigen vor
dem mißgünstigen Geschick um Hilfe bettelte. Wenn alle vergaßen, er nicht. Er
merkte sich alles. Sein Vater war selbst schuld, weil er ein armer Schlucker,
weil er jedermanns Diener gewesen war, schuld, weil er es nicht verstanden
hatte, aus seinen Untaten Nutzen zu ziehen. Wäre er mächtig gewesen, wäre er
nicht verachtet worden, zumindest nicht öffentlich. Man hätte sich vor ihm verneigt,
selbst wenn man ihn haßte. Das Leid und Ungemach, das er den Menschen zufügte,
hätte er zu gutem Geld machen können, eine Treppe daraus bauen, über die er
aufstieg, vielleicht sogar hoch. So machten es viele. Aber sein Vater war ein
Schwächling gewesen, er hatte seine Fähigkeiten für ein paar Groschen verkauft.
Er würde kein Schwächling sein. Er würde alles tun, nur nicht die Fehler des
Vaters wiederholen. Er war ruhig, gemessen, gefährlich, er wußte, wie sehr ihn
die Menschen fürchteten, und er genoß es lächelnd.
Ich hatte nie über ihn nachgedacht,
er berührte mich ebensowenig wie viele andere häßliche Dinge im Leben. Aber an
diesem Abend war ich empfindlicher, etwas betrunken, etwas beunruhigt, etwas
halsstarrig hinter meinem Schutzpanzer. Deshalb störte er mich. Ich erinnerte
mich, wie die Leute lachend und fast anerkennend von ihm erzählten, daß er
schon seit einem Jahr
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