Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
Vom Netzwerk:
lebenden Aal verschluckt.
    Aber ich war nicht mehr aufzuhalten.
Dieser halbblinde Schuft hatte sich geirrt, wenn er glaubte, ich würde mich
erschrocken zurückziehen. Ich hatte nichts Schlechtes gesagt. Und sie wußten
es.
    Ich redete weiter, jetzt mußte ich.
Ich hatte keine Angst, aber ich mußte erklären, was ich meinte. Jemand mußte es
sagen. Wir konnten nicht alle und ewig schweigen.
    Ich wolle niemanden kränken (sagte
ich sanfter), aber das Geschick und die Lebensumstände des alten Fähnrichs
hätten mich erschüttert (da kam es mir vor, als rechtfertigte ich mich aus
Angst, und der Stolz gab mir schärfere Worte ein). Sei der Fähnrich etwa
schlechter als wir hier? (Auch das war ein Rückzug! Ich hatte sagen wollen: als
die hier. Verflixt!) Und wie vielen ginge es ähnlich? Wir kümmerten uns weder
um die Lebenden noch um die Toten. (Ja, das war es! Die Wahrheit mußte heraus!)
Das Leben dieses Volkes sei Hunger, Blut, Not, klägliches Dahinvegetieren in
der Heimat und sinnloses Sterben in der Fremde. Alle meine Kameraden seien bei
Chotin verreckt wie die Hunde, ohne zu wissen warum, und Tausenden anderen
armen Teufeln sei es ebenso ergangen. Und wären sie heimgekehrt, vielleicht
würden sie dann betteln wie der Fähnrich Muharem. Es sei nicht gut, nur an das
eigene Wohl zu denken.
    Mula Ibrahim hatte seinen Aal
hinuntergewürgt und rülpste, ganz blau im Gesicht.
    Ich aber wußte, daß ich soeben
zahllose Dummheiten gesagt hatte, ohne Grund und Notwendigkeit.
    Džemal Zafranija hatte nicht erwartet,
daß seine listige Rache für die Kränkung so vollkommen ausfallen würde. Und ich
war in der Sackgasse, auch Reue hätte mir nicht geholfen. Zum Teufel mit ihnen,
ich hatte mich zum Narren gemacht, aber Dinge gesagt, die sie schon lange nicht
gehört hatten.
    So endete mein Versuch, etwas
Besseres im Leben zu erreichen.
    Einige sprangen auf, um mich zu
schlagen, Jüngere und Rangniedere, die sich und die Mächtigeren beleidigt fühlten.
    Džemal Zafranija besänftigte sie und
brachte mich hinaus.
    »Hattest du das nötig?« fragte er
vorwurfsvoll.
    »Ich nicht, aber du. Und jetzt
verschwinde, sonst schlage ich dich zusammen.«
    Meine Begründung überzeugte ihn, er
kehrte sofort ins Haus zurück.
    Eine dunkle Nacht empfing mich, der
Mond war noch nicht aufgegangen. Ich hatte meinen Besuch früh beendet.
    Es war nun einmal geschehen.
    Wessen Worte hatte ich den finsteren
Männern dort gesagt? Vielleicht waren es meine eigenen, aber ich hatte sie nie
so scharf formuliert, nicht einmal in Gedanken. Sie waren in mir gewesen,
sicher, die Worte und die Gedanken, woher hätte ich sie sonst nehmen sollen?
Ich darf nicht trinken, dachte ich, ich vertrage es nicht, ich bin dann nicht
mehr Herr meiner selbst. Aber es lag nicht am Trinken allein. Ich hatte mich
darauf versteift, Zafranija in Wut zu versetzen, und wollte dann keinen
Rückzieher machen. Er aber hatte mich zum Affen gemacht, mich am Draht geführt
wie eine Marionette, mich genau dahin getrieben, wo er mich haben wollte, und
mich den Narren spielen lassen. Und ich hatte geglaubt, klüger zu sein als
dieser halbblinde Zwerg. Das hatte ich nun davon. Es ist nicht gut, sich selbst
für gescheit zu halten.
    Und auf einmal besann ich mich. Aus
dem Nebel eingeschläferter Erinnerungen löste sich das ernste Gesicht des
Studenten Ramiz und das, was er in den düsteren Wäldern von Chotin gesagt
hatte. Ich hatte es mir gemerkt, ohne mir dessen bewußt zu sein, hatte es mit
denselben Worten im unpassendsten Augenblick wiederholt.
    Dazu konnte
ich mir nur gratulieren.
    Noch verspürte ich leichte
Trunkenheit, die mich nicht taumeln machte, mich aber hinderte, meine Gedanken
zu sammeln.
Ich beschloß, ein Stück an der Miljacka spazierenzugehen, um den
Branntweingeruch loszuwerden. Meiner Frau zuliebe. Sie hätte gesagt: »Du sollst
doch nicht trinken!«
Als redete sie einem Kind zu. Und ich mußte auch überlegen, wie ich ihr
beibringen sollte, was ich alles dahergeredet hatte. Ich verschwieg ihr
nichts, ich hätte Gewissensbisse gehabt, und es wäre auch vergeblich gewesen.
Sie spürte jede, auch die kleinste Veränderung an mir. Sie kam hinter die
unschuldigste Lüge. Darum wollte ich ihr alles erzählen, obwohl es mir peinlich
war. Da hast du dich ja schön mit Ruhm bedeckt, würde sie auf meine Worte entgegnen.
Auf welche Worte? Daß mich Zafranija zum Narren gemacht hatte? Daß ich
betrunken war und nicht wußte, was ich sagte? Daß ich absichtlich

Weitere Kostenlose Bücher