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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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alles
ausgesprochen hatte, was mich quälte? Was war die Wahrheit? Alles zusammen?
    Was ich gesagt hatte, stimmte, und ich
dachte wirklich so, aber ich hätte es nicht zu sagen brauchen. Mir selbst war
es keine Genugtuung gewesen, denn ich schämte mich, und niemand würde nach
meinen Worten anfangen, anders zu denken, als er bisher gedacht hatte.
    Dumm, unnötig, sinnlos. Und alles
Zafranijas wegen.
    Dieser verdammte Päderast, er hatte
mich übertölpelt wie eine Hure. Hüte dich vor Päderasten, hatte Smail Sovo gesagt,
vielleicht auch jemand anders, ich begann schon alles meinen gefallenen
Kameraden zuzuschreiben. Und dieser Jemand hatte noch gesagt: Die sich dazu
bekennen, mögen noch angehen, aber die es geheimhalten, die sind das schlimmste
Gezücht.
    Mußte ich mich erst am eigenen Leibe
davon überzeugen?
    Übrigens bekümmerte es mich nicht
sehr. Wer wußte, wozu es gut war. Ich würde weiter mit meinem knausrigen,
ängstlichen, gutmütigen Mula Ibrahim Beschwerden und Gesuche für unzufriedene
Menschen und Briefe an Soldaten schreiben, die würde es immer geben, ebenso wie
Kriege. Es war sogar besser, als wenn ich einen höheren Posten bekommen hätte.
So hing niemand von mir ab, ich sorgte nur dafür, daß die Bittgesuche anderer
wieder anderen vor Augen kamen, und konnte die Menschen wegen wirklicher oder
eingebildeter Unbill bedauern und trösten. So war ich immer auf ihrer Seite. Es
konnte keine größere Qual geben, als Urteile zu fällen, worüber auch
immer. Wer sollte zwischen dem ehemaligen österreichischen Gefangenen und
seinem Nachfolger entscheiden? Unter den
Menschen war alles sehr verworren, und von niemandem konnte
man behaupten, daß er ganz unschuldig oder ganz schuldig war (offenbar war nur das Unrecht, was Menschen
erniedrigte und tötete, aber das wurde von niemandem angetastet).
Also, in Ordnung, dachte ich heiter, heute abend habe ich das Urteil über mich
gesprochen: Ich werde nie über andere
urteilen. Und Gott sei Dank dafür. Aber was ich gesagt
habe, ist die Wahrheit. Zwar die Wahrheit von unten gesehen, doch von wo aus könnte ich sonst sehen? Die oben
sehen sie anders. So hat, hol's der Teufel, jeder seine Wahrheit,
und das ist gut, nur weiß ich nicht, warum sie Wahrheit heißt, denn es dürfte
nur eine Wahrheit geben, dann aber
würden wir vor Langerweile sterben. Am besten ist es, wenn die Wahrheit der
anderen Unwahrheit ist, das macht das Leben unterhaltsamer.
    Während ich so meine Torheit in das
Werg oberflächlicher Gedanken hüllte und mir Erleichterung verschaffte (denn
ich verteidigte mich, indem ich einen
Standpunkt bezog, der mir recht gab und Mut machte), strebte ich durch die
schmalen Gassen meinem Haus entgegen. Schon beim Eintreten würde ich lachen und
Tijana sagen ...
    Ich konnte mir nicht mehr ausdenken,
was ich sagen würde. Ein heftiger Schlag ließ meinen Kopf fast zerplatzen, und
im Fallen hörte ich das Getrappel vieler Füße, wie Trommelwirbel. Dann verlor
ich das Bewußtsein.
    Ich weiß nicht, wie lange ich
gelegen habe und wie lange dieser traumlose Schlaf dauerte, in den mich der
Schlag versenkt hatte, aber als ich langsam
zu mir kam, sah ich über mir den Mond, und ich schloß wieder die schweren und
müden Lider.
    Jemand kam die Gasse entlang,
näherte sich, ich spürte es an den Schritten, aber plötzlich verhielt er und
entfernte sich eilig. Was ist denn geschehen?
fragte ich mich mühsam. Das betäubte Hirn wollte mir nicht gehorchen, Kopf,
Rücken, Arme und Beine – alles schmerzte,
und der Mund brannte wie Feuer. Und wieder erlöste mich eine Ohnmacht von den
Qualen.
    Eine Stimme und die Berührung einer
Hand brachten mich zu mir.
    »Gott sei Dank, er ist nicht tot«,
flüsterte die Stimme. »Kannst du aufstehen?«
    »Was ist denn geschehen?«
    Diese Frage war mit mir
eingeschlafen und nun wieder erwacht.
    Irgendwo plätscherte Brunnenwasser.
Hätte ich nur einen einzigen Tropfen gehabt.
    »Woher soll ich wissen, was
geschehen ist? Ich komme zufällig vorbei und sehe, da liegt einer, betrunken,
denke ich mir. Ich schaue genauer hin, und da bist du es. Und du bist nicht
umgefallen, weil du einen über den Durst getrunken hast, Freundchen. Jemand muß
dich zusammengeschlagen haben.«
    Ich erkannte ihn: Mahmut Neretljak.
    Er putzte an mir herum.
    »Und beschissen haben sie dich, du
Unglücksrabe, von oben bis unten. Beschissen und bepinkelt. Es stinkt wie die
Pest. Ich versuche, den Dreck mit einem Stöckchen abzukratzen, aber es geht
nicht,

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