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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Daß er log, betrog und stahl, überraschte mich nicht mehr, auch war
ich überzeugt, daß sein Angebot, uns das verlorene Geld zu ersetzen, nicht
ernst gemeint war – daß er aber so einen Spott mit uns treiben würde, hatte ich
nicht erwartet.
    »Aha«, sagte ich wütend, »es war
also eine Lüge, daß du den Laden verkaufen wolltest, um uns das Geld zu geben.
Du hast gewußt, daß wir so dumm sein würden, das abzulehnen. Besten Dank für
solche Freundschaft, Mahmut.«
    »Aber nein, um Gottes willen!« Er
schwenkte die mageren Arme, als wehrte er sich gegen Schläge. »Ich habe nicht
gelogen! Ich habe mit meiner Frau über den Verkauf des Ladens gesprochen, sie
war einverstanden, das schwöre ich dir. Und ich hätte auch verkauft, wenn
Tijana nicht so ärgerlich geworden wäre. Ich hätte genug übrigbehalten, um die
Trillerpfeifen zu kaufen, und dich nicht zu bitten brauchen. Was heißt denn
gelogen, Mann Gottes!«
    Zum Teufel mit ihm, kein Mensch
konnte herausfinden, wann er log und wann er die Wahrheit sagte. Bei ihm war
alles so verworren, Pläne, Wünsche, Berechnungen, Lügen, alles war so vermengt,
daß er sich wahrscheinlich selbst kaum zurechtfand. Er war aufrichtig und
verlogen, redlich und falsch, wirklich und unwirklich,
alles ohne Grenzen und Übergänge, und nur so war er ganz er. Meinetwegen. Ich konnte mir die Menschen nicht nach
Wunsch aussuchen oder nur das Gute in ihnen sehen wollen.
Ich mußte die Menschen, mit denen mich das Leben zusammenführte, annehmen oder ablehnen, so wie sie waren. Und
vielleicht hätte ich schwer gefehlt, hätte ich nur mit Heiligen Umgang pflegen
wollen, denn wenn es sie auch gab, sie waren sicher unerträglich langweilig.
    Aber als ich sah, wie das Bedauern
seine wäßrigen Greisenaugen trübte, weil er fürchtete, daß ihm die lange erträumte
Gelegenheit entgehen könnte, oder weil er aufrichtig an seine Lüge geglaubt
hatte, unterdrückte ich meinen kleinlichen Zorn und gab ihm seine lächerliche
Hoffnung wieder. Da hast du sie, alter
Wirrkopf. Wenn ich nichts gewinne, verlieren werde ich auch nichts. Und was du
gewinnst oder verlierst, darüber habe nicht ich zu entscheiden.
    Meine Zustimmung, die ihm seinen
Traum unbeschädigt zurückgab, brachte ihm zugleich auch wieder Sicherheit.
    Dabei war
kaum ein Augenblick vergangen, seit er bekümmert vor seinem Mißerfolg
gestanden hatte. Dieser Fanatiker zweifelte niemals lange an seinem Glück, es
würde einmal kommen, irgendwann, und er
war stets bereit, auch seinem Schatten nachzulaufen, als erwartete es ihn
hinter der nächsten Ecke, an einer Wende seines Lebens.
    Und ich begriff, daß er mich nicht
betrog. Er ging seinen Weg, geleitet von seinen Wünschen und ohne Rücksicht auf
mich.
    Die Gasse entlang kam langsam der
Serdar Avdaga, als sei der strömende Regen das schönste Wetter für einen Spaziergang. Er schlenderte auf und ab,
blieb dann stehen, immer an derselben Stelle, in derselben Entfernung von uns,
und wartete geduldig.
    »Er wartet
auf einen von uns beiden«, sagte Mahmut. »Sicher auf dich.«
    »Warum auf
mich?«
    »Und warum
auf mich?«
    So schoben wir den Serdar Avdaga
großzügig einander zu, da wir schon den Teufel nicht bitten konnten, uns von
seiner Gegenwart zu befreien. »Wir wollen doch mal sehen«, schlug Mahmut vor.
    Er konnte
die Ungewißheit nicht ertragen.
    Als wir den
Serdar erreicht hatten, grüßten wir höflich und
hofften, daß es damit getan war.
    »Wohin des
Wegs, Ahmet?«
    Auf mich
hatte er gewartet!
    »Du kannst
weitergehen, Mahmut.«
    Es war ein
Befehl.
    Mahmut sah
mich an, lächelte verlegen, als bedaure er, mich mit
Avdaga allein zu lassen, oder als sei er froh, daß der Kelch
an ihm vorübergegangen war, er verabschiedete sich und
lief geduckt und naß, aber sicher glücklich die Gasse hinab.
    »Hast du
Arbeit gefunden?«
    »Nein.«
    »Nein? Und
warum?«
    Ich schwieg unter dem Eindruck, wie
rücksichtslos er Mahmut weggejagt hatte, ohne sich seiner Grobheit zu schämen,
vielleicht war er sich ihrer nicht einmal bewußt. Er dämpfte seine Härte mit keinem
Lächeln, geschweige denn mit einem Wort. Die Menschen erwarteten es auch nicht
von ihm, sie zürnten ihm weder, noch
schalten sie ihn. Ich dachte an Mahmuts demütiges Lächeln und
seinen ehrerbietigen Gruß, er hatte Angst, und die Beleidigung tat ihm nicht
weh.
    Auch ich hatte Angst. Ich hätte
sagen müssen: »Mahmut ist mein Freund, wir hatten etwas zu erledigen, warum
hast du ihn fortgeschickt?« Ich hatte es nicht

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