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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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verkauft, ohne Opfer fürchten zu müssen, aber wie vergnüglich
wäre es gewesen, wenn wir auch nur zum Schein auf sein Angebot eingegangen
wären. Er hätte sich gewunden wie ein Wurm, um sein Wort zurückzunehmen.
    Aber alles war gut ausgegangen, und
wir alle waren mit unserem Verhalten zufrieden. Der alte asthmatische Gauner
hatte mit dem sicheren Einsatz auf Tijanas Güte gespielt. Er ging, scheinbar
bekümmert, weil wir sein Opfer nicht angenommen hatten.
    Zwei Tage später bestürmte er mich
mit einem neuen Vorschlag.
    Tijana war mit fertigen Hemden zu
Kunden unterwegs, und ich saß in der Bibliothek, um Mevlijas Verse über Sarajevo
zu lesen. Es war, als spräche er über mich und die Menschen von heute, als wäre
nicht inzwischen ein ganzes Jahrhundert vergangen. Bleibt denn die Zeit stehen?
fragte ich mich und wußte nicht, ob mir das ein Trost oder ein neuer Kummer
sein sollte. Verändern sich die Menschen nicht?
    Diese Frage stellte ich auch Seid
Mehmed in einer jener kurzen Pausen zwischen zwei Rauschzuständen, da der eine
im Schwinden war und der andere noch nicht begonnen hatte. Nur dann war er
hellwach, und nur dann lächelte er nicht traurig und fröhlich zugleich.
    »Die Menschen verändern sich«, sagte
er. »Aber zum Schlechten.«
    »Unmöglich«, antwortete ich hitzig.
»Wenn sie auch nicht besser sind, klüger sind sie doch. Sie wissen, daß sie die
Dinge untereinander regeln müssen, weil sie sonst der Teufel holt.«
    »Der Teufel holt uns auf alle
Fälle«, schloß Seid Mehmed gleichmütig.
    Ich hätte ihn gern gefragt, warum er
so schlecht von den Menschen dachte, was sie ihm getan hatten, weshalb er sich
versteckte, wovor er floh, aber er ließ niemanden an sich herankommen. Er
krächzte auf wie ein unheilkündender Vogel und flog davon.
    Auch diesmal ging er ins Nebenzimmer
und ließ mich mit meinen Fragen allein.
    Ich konnte ihm nicht glauben, ich
lehnte seine hoffnungslosen Gedanken ab, sie waren gegen das Leben gerichtet,
gegen die Menschen. Alle Menschen. Wenn nur einer anders war, hätte ich ihm
mehr geglaubt als allen übrigen. Aber es war nicht nur einer. Es gab mehr gute
Menschen auf der Welt als böse. Viel mehr. Die Bösen waren nur weiter zu hören
und schwerer zu ertragen. Die Guten schwiegen.
    Konnte es nicht umgekehrt sein?
    Gern hätte ich mit Ramiz darüber
gesprochen. Er hätte sicher gesagt, daß die Menschen sich zum Besseren
verändern würden, ohne diese Überzeugung wäre sein ganzes Leben und Tun sinnlos
gewesen. Wenn es auch nicht überzeugend klang, ich hätte ihm geglaubt.
Seinetwegen und meinetwegen.
    Mahmut trat mir auf der Gasse
entgegen, naß wie ein Wischlappen. Es regnete schon den ganzen Tag.
    »Was machst du hier?«
    »Nichts, ich stehe da. Im Kaffeehaus
ist es nicht auszuhalten, alle sitzen aufeinander, weil es regnet.«
    »Wollen wir zu mir gehen?«
    »Was stört uns hier?«
    Wir stellten uns in ein Haustor und
sahen zu, wie es regnete und die Tropfen vom Pflaster abprallten. Bald hatte
ich nasse Füße. Nun war es gleichgültig, ob ich ging oder blieb.
    Wie würden die Menschen morgen sein,
besser oder schlechter?
    »Scheußliches Wetter«, sagte Mahmut
und trocknete sich das Gesicht mit dem Taschentuch. »Regen, Wind und Winter mag
ich nicht. Man fühlt sich nicht wohl, man hustet, das Kreuz tut weh, das Herz
tut weh. Sommerhitze kann ich auch nicht leiden, da ist man wie gelähmt. Ob es
ein Land gibt, wo immer Frühling ist?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
    »Ich habe keins gesehen. Wenn ich
eins wüßte, würde ich dort leben. So ist es eine Plage. Entweder sticht die
Sonne, oder der Frost beißt. Scheußlich. Besonders bei Schwüle. Zum
Verrücktwerden. Gestern abend zum Beispiel, ich lege mich hin, aber es ist so
drückend, ich merke, das Wetter schlägt um, ich kann nicht atmen, ich kann
nicht schlafen, und zum Ausgehen ist es zu spät. Die Frau stöhnt, keucht, wälzt
sich. ›Sei doch ruhig‹, sage ich. ›Kaum schlafe ich ein, weckst du
mich wieder.‹
    ›Ich quäle mich auch‹, sagt
sie. ›diese Luft ist ja zum Ersticken.‹ Ich merke schon, an Schlaf ist
nicht zu denken, die Augen starren in die Finsternis, im Kopf geht alles durcheinander,
also lasse ich meinen Gedanken freien Lauf, verscheuchen kann ich sie sowieso
nicht. Und da denke ich, wie viele Menschen in dieser Stadt jetzt keinen Schlaf
finden wie ich, wie viele wohl schlafen, wie viele mit Verlaub etwas tun, wie
viele ihren Geist aufgeben, wie viele geboren werden. Wie viele

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