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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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gesagt.
    Es war meine Pflicht, ihn gegen die
Demütigung zu verteidigen. Auch mich selbst. Aber ich hatte es nicht getan.
Ich hatte sie
hinuntergeschluckt, vielleicht sogar gelächelt, und jetzt schmerzte mich das wie eine
offene Wunde. Ich schämte mich meiner Feigheit, und dennoch dachte ich: gut,
daß ich nichts gesagt, ihn nicht verärgert
habe. Beides zugleich. Zwei völlig verschiedene,
entgegengesetzte Menschen in mir meldeten sich zur gleichen Zeit, der eine
zufrieden, weil er sich keiner Gefahr ausgesetzt hatte,
der andere tief unglücklich, weil er ein Dreckskerl war, aber beide
gleichermaßen aufrichtig, beide mit Recht. Und eben noch, im Haustor, hatte
mich Mahmut Neretljaks Heuchelei entsetzt. Wir waren doch alle gleich.
    Der Serdar ahnte nichts von meinen
Qualen.
    »Wovon lebst du, wenn du nicht
arbeitest?«
    »Meine Frau arbeitet.«
    »Das ist nicht gut, sie wird die
Oberhand gewinnen.
    Arbeiten muß der Mann.«
    »Ich kann keine Arbeit finden.«
    »Was heißt, du kannst keine Arbeit
finden? Willst du Bibliothekar werden? Mehmed Seid soll
entlassen werden.
    Er taugt zu nichts mehr.«
    »Ich will keinen um Lohn und Brot
bringen.«
    »Dann tut es ein anderer.«
    »Das ist nicht meine Schuld.«
    »Du bist wirklich ein Narr. Aber es
gibt andere Möglichkeiten. Möchtest du Schreiber beim
Kadi werden?«
    »Bietest du mir das an, oder soll es
ein Scherz sein?«
    »Ich biete es dir an.«
    »Wenn du etwas anbietest, verlangst
du auch etwas.«
    »Eine Kleinigkeit.«
    »Laß hören.«
    »Dieser Ramiz, der Student, redet
allerlei in der Moschee.
    Ich hoffe, du denkst nicht wie er.«
    »Wenn er allerlei redet, wie du
sagst, und wenn dieses Allerlei häßlich ist, dann denke ich
nicht wie er.«
    »Der Kadi möchte, daß alles
aufgeschrieben wird, was er sagt.«
    »Und das soll ich tun?«
    »Die Schreiber des Kadis wird er
erkennen und auf seine Worte achten.«
    »Weißt du, Avdaga, ich habe schon
seit drei Tagen Kopfschmerzen. Ich kann mir nichts
merken.«
    »Das brauchst du auch nicht. Schreib
es auf.«
    »Außerdem hat Džemal Zafranija etwas
gegen mich, es wird ihm nicht recht sein, daß du
mir diesen Auftrag gibst.«
    »Džemal-Effendi hat mir doch
befohlen, dir das zu sagen.«
    Dieser Dummkopf war nur vorgeschickt
worden. Ich hatte es geahnt, dies war die Bestätigung.
    »Und warum sagt er es mir nicht
selbst?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Dann richte
ihm aus, daß ich nicht kann.«
    »Du kannst, wenn du nur willst.«
    »Gut. Ich will nicht.«
    »Du willst nicht?«
    »Nein.«
    »Du sagst, du willst nicht!«
    »Ich sage, ich will nicht. So etwas
habe ich nie getan und werde es auch jetzt nicht tun.«
    Ich hatte Ausflüchte machen wollen,
und das war dabei herausgekommen.
    Seltsamerweise hatte ich keine Angst
mehr.
    Und er drohte nicht, wie ich
erwartet hatte. Er schien überrascht, fast bestürzt. Es war wohl das erste Mal,
daß er so etwas hörte und erlebte. Die Menschen waren nicht so, er wußte es
genau. Was war das dann?
    Ich hatte ihn unsicher gemacht, ohne
es zu beabsichtigen, ohne irgend etwas zu beabsichtigen. Er sah mich an wie
einen dummen kleinen Jungen, wie einen Verrückten, wie ein Gespenst. Er lächelte
sogar ungläubig, als handelte es sich um einen Scherz, um ein seltsames
Mißverständnis, das sich gleich aufklären würde, er hatte sich verhört, oder
ich würde sagen, daß ich es nicht ernst gemeint hatte, würde mich
entschuldigen, er würde mich schelten, und die Welt kam wieder in ihr gewohntes
Gefüge. Aber nichts klärte sich auf, das Weltgefüge blieb gestört, und er besaß
kein Mittel gegen diesen unbekannten Zustand.
    Er fand nur ein altes, schäbiges,
unzählige Male gebrauchtes Wort, das nicht überzeugend klang:
    »Das wirst du bereuen, Ahmet Šabo!«
    »Wenn ich auf dich hörte, würde ich
schlimmer bereuen.«
    Er hatte wirklich nichts mehr zu
sagen. Er starrte mich schweigend und geistesabwesend an, und wenn er zu sich
kam, konnte er mich nur erschlagen oder fortgehen.
    Fort ging ich, ich ließ ihn erstarrt
im Regen unter der Kastanie stehen und schaute mich nicht um, ob ihn der Schlag
getroffen hatte. Das wäre ein Glück gewesen. Es wäre herrlich gewesen, hätte
er sich in Stein verwandelt, um ewig unter der Kastanie stehenzubleiben,
unbeweglich wie ein Denkmal blinder Treue. Es wäre herrlich, es wäre die
Rettung gewesen, denn ein eisiger Krampf befiel mein
Herz, kaum daß ich mich von ihm getrennt hatte.
    In seinem Beisein hatte ich keine
Angst gehabt, doch kaum war ich

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