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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koonchung Chan
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illegalen Ziegeleien in der Region berichtet, und man hat viele davon geschlossen und die Kinder dort befreit. Die meisten waren etwa so alt wie ich und hatten ähnliche Schicksale, alle waren seit Jahren als vermisst gemeldet. Ich habe viele Journalisten kennengelernt, darunter auch Miaomiao, in deren Wohnung ich jetzt gerade sitze. Wir haben uns sehr gut verstanden und sie wollte, dass ich einen Bericht über meine Erlebnisse schreibe. Das habe ich gemacht, fand ihn aber nicht besonders. Miaomiao fand ihn gut und wollte ihn für mich veröffentlichen lassen. Man brachte mich wieder nach Hause, aber meine Mutter war längst tot und mein Vater auf der Suche nach Arbeit in den Süden gegangen. Ich kam wieder in die Schule, musste aber zurück in die erste Klasse der Mittelstufe.
    Nach einem Jahr bekam ich einen Brief von Miaomiao. Sie erzählte mir, dass die Medien Anweisung bekommen hatten, nicht mehr über die illegalen Ziegeleien zu berichten, um dem Ansehen des Landes nicht zu schaden. Mein Bericht konnte deswegen nicht abgedruckt werden, aber sie hat ihn in den Foren der Tianya Club-Website veröffentlicht – dort schrieben viele Leute über uns Kindersklaven. Er wurde viel von den anderen Usern kommentiert und erst nach einer Woche »wegharmonisiert«. Im Brief stand auch ihre E-Mailadresse. Ich fuhr in die nächstgrößere Stadt, ging in ein Internetcafé und schrieb ihr, dass ich keine Lust mehr auf die Schule hatte, dass ich allein auf mich gestellt war und lieber arbeiten gehen wolle. Miaomiao antwortete, ich solle zu ihr nach Peking kommen. Sie stammt von dort. Sie hatte ihre Stelle bei dem Magazin aus Guangzhou, bei dem sie gearbeitet hatte, gekündigt und war wieder dorthin zurückgezogen. Die Realität da draußen ist zu schrecklich für sie, und der Druck war zu groß, deshalb arbeitete sie lieber von Zuhause aus als freie Autorin.
    Kurz nach meinem siebzehnten Geburtstag kam ich in Peking an. Miaomiao wohnt in Huairou, hier ist es eigentlich fast wie auf dem Land.
    Sie hat mich bei sich aufgenommen, mir das Gitarrespielen beigebracht – und mich außerdem in ein paar andere schöne Dinge eingeführt … Außerdem kann sie sehr gut kochen und auch Kuchen und Kekse und so was backen. Ihre drei Katzen und drei Hunde hat sie alle irgendwo auf der Straße aufgelesen. Wegen der Olympiade damals wurden in Peking viele Häuser abgerissen, sehr viele Leute mussten umziehen und haben ihre Haustiere einfach dagelassen, deswegen gibt es hier so viele streunende Hunde und Katzen, sagt Miaomiao.
    Mich hat sie auch aufgelesen. Jetzt habe ich nicht mehr solche Angst, wenn ich wieder Asthmaanfälle kriege.
    Anfangs haben wir von dem Geld gelebt, das Miaomiao mit Artikeln und Fernseh-Drehbüchern verdient hat, und ich habe ab und zu in einer Tierarztpraxis in der Nähe ausgeholfen. Ich war selbst so oft mit unseren Katzen und Hunden dort, dass ich mich mit dem Arzt und den Sprechstundenhilfen angefreundet habe. Miaomiao hat einem Bauern sein kleines Haus abgekauft. Es hat einen kleinen Hof, drei nach Norden ausgerichtete Zimmer, eine abgetrennte Küche und ein Bad mit Dusche. Ein Jahr und drei Monate lang hatten wir zusammen mit unseren Hunden und Katzen eine sehr schöne Zeit hier. Damals war Miaomiao gerade zweiunddreißig geworden.
    Dann hörten wir von den Unruhen, die überall im Land ausbrachen. Ganz Peking war in Angst, und wir horteten alles an Tierfutter, was wir bekommen konnten. Es hat gerade so ge­reicht. Dann wurde die Anti-Kriminalitätskampagne ausgerufen, und die Lage beruhigte sich. Miaomiao hatte aber Angst, dass man mich festnehmen würde, und ließ mich nicht aus dem Haus gehen. Also verbrachte ich einen ganzen Monat nur hier drinnen. Es gab immer noch nicht genug zu essen und viele Leute setzten ihre Haustiere aus. Jedes Mal, wenn Miaomiao nach Hause kam, brachte sie noch einen Hund oder eine Katze mit. Ein paar davon waren krank oder verkrüppelt. Deswegen ist unser Haus jetzt randvoll mit Tieren. Ich habe gelernt, wie man sie versorgt.
    Im darauf folgenden Frühjahr brach dann der allgemeine Wohlstand aus und seitdem sieht man überall nur noch fröhliche Gesichter. Aber mit Miaomiao ist etwas Merkwürdiges passiert. Sie erkennt mich plötzlich nicht mehr. Sie erkennt überhaupt niemanden mehr, lächelt nur stumm vor sich hin. Sie füttert regelmäßig die Tiere und backt alle paar Tage Kekse ohne Zucker drin, aber sie schreibt nicht mehr, spielt nicht mehr auf ihrer Gitarre und verlässt das

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