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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koonchung Chan
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gekommen, also musste er seinen Einfluss vor Ort durch Beförderungen absichern. Natürlich griff er dabei nicht auf Männer wie Liu Xing zurück, die noch dem alten Bürgermeister gedient hatten. Kreisvorsteher Yang war einer von seinen Leuten. Wenn der Bürgermeister jetzt in die Provinzregierung wechselte, würde er seine Vertrauten nachholen, sobald er fest im Sattel saß. Im Kreis des nicht mal vierzigjährigen Yang brauchte es in den kommenden Monaten bloß ruhig zu bleiben, dann war ihm der Aufstieg in die Provinzregierung sicher.
    Umgekehrt bedeutete das aber: In dem Moment, in dem es bei ihm zu einem Massenereignis kam, war es ganz gleich, wie er die Sache handhaben würde: Seine Beförderung wäre gefährdet. Aus diesem Grund war Yang der ideale Adressat für eine frühzeitige Warnung vor einem sich anbahnenden Massenprotest. Jung und aufstrebend, wie er war, würde er sich seine Karrierepläne nicht von ein paar korrupten Landkadern vereiteln lassen.
    Als Liu Xing sich sicher war, dass Gao Shengchan seinen Hinweis begriffen hatte, verschwand er wankenden Schrittes, aber sehr zufrieden mit sich selbst, in Richtung Toilette. Gao Shengchan nutzte die Gelegenheit und rief Li Tiejun an. Er ließ unverzüglich ein Treffen mit dem Kreisvorsteher Yang vereinbaren.
***
    Die Gegend um Jiaozuo war ein wichtiges Anbaugebiet für chinesische Heilpflanzen wie Libosch, Yamswurzel, Ochsenknie und Chrysanthemen. Schon in Peking hatte sich Fang Caodi eine Liste mit Substanzen der chinesischen Medizin gemacht, die helfen sollten, Zhang Dous innere Verletzungen und Miaomiaos Demenz zu behandeln. Um halb fünf war er aufgestanden, hatte seine Qigong-Übungen gemacht und noch vor Anbruch der Dämmerung das Zimmer verlassen, ohne Chens Nachtruhe zu stören.
    Der war zwar erschöpft von der langen Fahrt, hatte aber dennoch nur einen sehr unruhigen Schlaf gefunden. Schon um kurz nach sechs stand er auf und ging zum Frühstück. Als Fang Caodi gegen neun Uhr mit einem großen Sack Heilkräuter auf dem Rücken wiederkam, war Chen sichtbar schlecht gelaunt. Sie brachen unverzüglich auf und fuhren nach Wenquanzhen.
    In der Ortsmitte angekommen fragte Fang Caodi einen Taxifahrer nach einer protestantischen Kirche namens Weizenkorn. Die sei nur ein paar Schritte entfernt, sagte der und wies Fang an, ihm hinterherzufahren. Er brachte sie bis vor das große Tor, wollte dafür jedoch kein Trinkgeld annehmen. Chen fragte sich, ob man überhaupt noch von einer Untergrundkirche sprechen konnte, wenn offenbar jeder im Ort ihre Adresse kannte und über dem Tor Neujahrssprüche mit unverblümt christlichem Inhalt hingen? Fang Caodi hingegen fragte sich, wieso man den Leuten aus Henan bloß so viel Schlechtes nachsagte, wo einem hier doch sogar die Taxifahrer selbstlos weiterhalfen?
    Drinnen im Hof waren Gao Shengchan und Li Tiejun gerade im Begriff zu ihrem Termin mit Kreisvorsteher Yang aufzubrechen. Ihre Gemeinde hatte über eintausend Mitglieder in der Gegend, der Kreisvorsteher hatte gar nicht anders gekonnt, als einem Treffen zuzustimmen, verkündete Li Tiejun nicht ohne Stolz. Gao Shengchan versuchte unterdessen, Li Tiejun eines einzuhämmern, nämlich dass er das Reden ihm überlassen sollte. Er war sich sicher, dass er Yang dazu bringen konnte, die Angelegenheit in Zhangjiacun zu regeln, aber Li Tiejun sollte ihm dabei möglichst nicht dazwischenfunken.
    Die einen in Gedanken, die anderen ins Gespräch vertieft, trafen die vier Männer am Hoftor aufeinander.
    Fang Caodi fürchtete, dass Chen mit seinem taiwanischen Akzent Misstrauen erwecken könnte, deshalb riss er das Wort an sich: »Verzeiht, Freunde! Sind wir hier richtig bei der unterirdischen Körnerkirche?«
    »Das hier ist die Weizenkorn-Kirche«, antwortete Li Tiejun vorsichtig. »Suchen Sie jemand Bestimmten?«
    »Wir suchen eine Frau, die sich kornichtot nennt. Ihr richtiger Name ist … Wie heißt sie eigentlich?«
    »Wei Xihong. Oder einfach Xiaoxi«, sagte Chen.
    »Schon mal gehört?«, fragte Fang Caodi.
    Li Tiejun wollte nicht lügen und so wiederholte er den Namen zunächst mehrmals, um Zeit zu gewinnen: »Wei Xihong … Wei Xihong … hhmmm.«
    »Kommt aus Peking«, ergänzte Fang Caodi.
    »Aus Peking …« Li Tiejun tat, als müsse er nachdenken.
    Fang Caodi wurde ungeduldig: »Wer ist denn der Chef von dem Laden hier?«
    »Unser ›Chef‹ ist der Herrgott selbst«, erklärte Li Tiejun.
    »Was soll das Gequassel?«, fuhr Fang Caodi ihn an.
    »Komm, lass es gut

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