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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koonchung Chan
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sein«, sagte Chen beschwichtigend und zog ihn fort.
    Li Tiejun ging zurück und schloss das Tor, bevor er mit Gao Shengchan in Richtung Stadtzentrum ging. Ein Hirte muss seine Schäfchen zu schützen wissen, dachte er. Er sagte zu Gao Shengchan: »Das waren bestimmt Spitzel der Sicherheitsbehörden, deswegen hab ich sie absichtlich hingehalten – und das ohne eine einzige Lüge zu erzählen!«
    Gao Shengchan hatte sich während der gesamten Episode im Hintergrund gehalten, allerdings teilte er Li Tiejuns Einschätzung nicht. Er hatte intuitiv gespürt, dass zwischen Chen und Wei Xihong eine besondere Beziehung bestand, die weniger politischer, als vielmehr amouröser Natur war. Deswegen hatte er ihm nichts über ihren Aufenthaltsort gesagt – er wollte ihm nicht helfen, sie zu finden. Gao Shengchan wusste, dass die beiden wiederkommen würden, und das schlechte Gewissen wegen seines Schweigens plagte ihn schon jetzt. Aber er hatte sich jetzt um Wichtigeres zu kümmern, sagte er sich. Er musste verhindern, dass die Kirche in einen Bauernprotest hineingezogen wurde.
    Ohne Zhang Dous Nachricht, dass kornichtot sich in der Provinz H, Stadt J, Kreis W aufhielt, hätte sich Chen vielleicht entmutigen lassen. Doch nachdem sie, kaum in Wenquanzhen, die Weizenkorn-Kirche auf Anhieb gefunden hatten, war er sich sicher, dass Xiaoxi nicht weit sein konnte. Die beiden Männer eben hatten bloß nicht mit der Wahrheit herausrücken wollen. Er ließ Fang Caodi bei der Kirche warten, für den Fall, dass Xiaoxi dort auftauchte, und ging selbst zurück ins Stadtzentrum, um ein Internetcafé zu suchen und Kontakt zu kornichtot aufzunehmen.
    Was er und Fang nicht wussten – Gao Shengchan und Li Tiejun hingegen sehr wohl –, war, dass Xiaoxi gerade in diesem Moment in der Kirche saß und am Bibelkurs teilnahm. Sie würde den ganzen Tag dort verbringen, mit den anderen zusammen Mittag essen und nachmittags im Internet surfen, in die virtuelle Welt eintauchen, vielleicht als kornichtot in ihrem Blog einen Beitrag über die Rechte der Bauern schreiben oder sich mit irgendwelchen alten Knallköpfen anlegen, die im Netz Schein und Sein miteinander verwechselten. Hier auf dem Land gab es um halb sechs Abendessen, um halb sieben würde sie beim täglichen Bekenntnisgottesdienst mitmachen und um acht mit ein paar engagierten Brüdern und Schwestern die letzten Details der Protestaktion in Zhangjiacun besprechen. Sie fühlte sich erfüllt und lebendig.
***
    Wenquanzhen hatte nicht mal hunderttausend Einwohner, aber ein gutes Dutzend Internetcafés. Als Gao Shengchan und Li Tiejun gerade das Büro des Kreisvorstehers auf der Huanghe Road betraten, fand Chen endlich ein Café, das schon geöffnet hatte. Er las kornichtots Beiträge bei KDnet, NBWeb sowie ihren Blog bei Sina.com. Eine starke Ergriffenheit erfasste ihn – Xiaoxi schien himmelweit entfernt und war doch zum Greifen nah. Dennoch brauchte Chen ganze vier Stunden, bis er seine erste Nachricht an sie abschickte.
    Anfangs wollte er sich noch ganz cool geben und hatte geschrieben, er mache mit einem Freund Urlaub in Henan und sie seien gerade in Jiaozuo, um bei der Gelegenheit ein paar chinesische Heilkräuter zu kaufen; mit geheuchelter Unschuld hatte er gefragt, ob Xiaoxi noch in Peking sei, sie könnten sich ja mal wieder treffen. Nein, was für ein Zufall! Sie sei gar nicht in Peking sondern ebenfalls in Jiaozuo! Warum trafen sie sich nicht zum Mittagessen im Yiwan? … Wahrscheinlich hatte er sich eine Reaktion in dieser Art erhofft. Zum Glück hatte er die Nachricht so nicht abgeschickt. Wem wollte er damit eigentlich etwas vormachen? Viel zu plump.
    Also hatte er den Text gelöscht und von vorne angefangen: Dass Wen Lan bei ihrem letzten Treffen einfach so hereingeplatzt sei, täte ihm leid, er wolle Xiaoxi unbedingt wiedersehen. Aber auf so eine Nachricht würde Xiaoxi bloß antworten, dass es ihm nicht leid zu tun brauche, schon in Ordnung, man sieht sich! Doch sehen würde Chen sie so eben nicht.
    Bei dem Eindruck, den sie von Chen und Wen Lans Verhältnis haben musste, würde sie sich wohl so schnell nicht noch mal mit ihm treffen wollen.
    Chen wurde bewusst, dass er ehrlich zu ihr sein musste. Er musste ihr sagen, dass er nach Wenquanzhen gekommen war, um sie zu sehen, weil … Weil er mit ihr zusammen sein wollte. Chen entschied sich, Xiaoxi seine Liebe zu gestehen. Und wenn er sich schon öffentlich zu seiner Liebe bekannte, dann wollte er ihr alles erzählen. Es war jetzt

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