Die Feuer des Himmels
einem großen Dorf. Min blickte ganz verblüfft drein. Süßholz und Eichen und ein paar kümmerliche Kiefern -diese Baumarten kannte sie immerhin - standen bis auf fünfzig Schritt Entfernung von den strohgedeckten Häusern, erbaut aus rundgeschliffenen Flußsteinen, die sich an niedrige Hügel schmiegten. Sie hätte darauf wetten können, daß sich vor nicht allzu langer Zeit der Wald noch durch das ganze Dorf hindurchgezogen hatte. Zwischen einigen der Häuser standen nämlich tatsächlich noch kleine Baumgruppen, teilweise direkt an den Hauswänden, und hier und da sah sie frische Baumstümpfe vor den Häusern stehen. Die Straßen wirkten auch noch wie frisch angelegt. Ihre Oberfläche war noch nicht von Generationen von Füßen hartgetreten. Männer in Hemdsärmeln deckten gerade drei große Steinwürfel mit Strohbündeln ab. Das mußten wohl Schenken sein. Bei einer hing sogar noch ein verblaßtes, verwittertes Schild über dem Eingang, aber sie konnte nirgendwo Reste früherer Strohdächer entdecken. Wenn man es an der Anzahl der sichtbaren Männer maß, befanden sich viel zu viele Frauen draußen, und wiederum an deren Zahl gemessen, spielten zu wenige Kinder auf der Straße. Das einzig Normale an diesem Ort war der Geruch nach Mittagessen, der in der Luft lag.
Wenn schon der erste Anblick Min überrascht hatte, dann wäre sie bei näherem Hinsehen beinahe aus dem Sattel gefallen. Die jüngeren Frauen, die aus den Fenstern Decken ausschüttelten oder mit irgendeinem Auftrag unterwegs waren, trugen einfache Wollkleider, aber sie hatte noch nie in einem Dorf derart viele Frauen in Reitkleidern aus Seide oder feinster Wolle gesehen, in jeder möglichen Farbe und jedem Schnitt. Um diese Frauen herum und auch um die meisten Männer flackerten Auren, und Bilder schwammen in ihr Blickfeld hinein, änderten sich ständig... Bei den meisten Menschen konnte sie kaum jemals so etwas sehen, doch Aes Sedai und Behüter boten ihrem inneren Auge dauernd und höchstens mit kurzen Unterbrechungen Visionen. Die Kinder mußten den Dienern gehören, die wohl aus der Burg mitgekommen waren. Es gab nur wenige verheiratete Aes Sedai, aber wie sie diese kannte, hatten sie jede Anstrengung unternommen, ihre Diener mitsamt deren Familien mitzunehmen, wenn sie selbst sich zur Flucht entschlossen hatten. Siuan hatte tatsächlich die geflohenen Aes Sedai gefunden!
Es herrschte eine unheimliche Stille, als sie in das Dorf einritten. Niemand sprach ein Wort. Die Aes Sedai standen bewegungslos da und beobachteten sie, genauso wie die jüngeren Frauen und Mädchen, die wahrscheinlich Aufgenommene oder gar erst Novizinnen waren. Männer, die sich noch einen Moment zuvor mit der Grazie eines Wolfs bewegt hatten, standen nun erstarrt da, eine Hand im Stroh verborgen oder in einen offenen Eingang gestreckt, wo sie zweifellos Waffen versteckt hatten. Die Kinder verschwanden, schnell von den Erwachsenen, wahrscheinlich Dienern, verscheucht. Unter all diesen starren Blicken stellten sich Mins Nackenhärchen auf.
Leane schien nervös und sah immer wieder zur Seite hin auf die Menschen, an denen sie vorbeiritten, doch Siuan verzog keine Miene und führte sie ganz ruhig geradewegs zu der größten der Schenken hin, jener mit dem nicht mehr lesbaren Schild. Sie stieg ab und band Belas Zügel an den eisernen Ring an einem der Haltepfosten, die anscheinend erst kürzlich aufgestellt worden waren. Min half Leane dabei, Logain vom Pferd zu holen. Siuan bot ihnen niemals ihre Hilfe an, wenn sie ihn hinauf- oder herunterbringen mußten. Dann blickte sie sich hastig um. Alle starrten sie an, und niemand rührte sich. »Ich habe ja nicht erwartet, wie eine lange verschollene Tochter begrüßt zu werden«, murmelte sie, »aber warum sagt denn niemand wenigstens guten Tag?«
Bevor Leane antworten konnte, falls sie es denn vorgehabt hatte, sagte Siuan: »Also, hört nicht mit Rudern auf, bevor die Küste erreicht ist. Bringt ihn herein.« Sie verschwand nach drinnen, während Min und Leane immer noch damit beschäftigt waren, Logain zur Tür zu führen. Er ging brav mit, doch sobald sie ihn losließen, machte er nur noch einen Schritt und blieb stehen.
Der Schankraum unterschied sich nun doch von jedem, den Min jemals gesehen hatte. Die Kamine waren natürlich kalt und wiesen Lücken auf, wo einzelne Steine herausgefallen waren, die Gipsdecke wirkte brüchig, und es waren kopfgroße Löcher darin zu sehen, wo die Deckenverschalung durchschien. Die Tische von
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