Die Feuer des Himmels
fände sie auch einen Weg dazu. Rands Gebrauch der Macht war notwendig. Sie hatte nicht vor, noch einen Mann auf die Welt loszulassen, der mit der Macht umgehen konnte. »Wenn nicht, könnt Ihr den Ring und Tel'aran'rhiod vergessen.« Was wollte Siuan eigentlich damit erreichen? Wahrscheinlich wollte sie nur wieder ein Gefühl genießen, beinahe wie eine Aes Sedai zu sein. Energisch unterdrückte Nynaeve das gerade wieder aufgetauchte Mitleid. »Und wenn Ihr weiterhin behauptet, wir hätten uns als Aes Sedai ausgegeben, werde ich keine andere Wahl haben und ihnen von Euch und Leane berichten. Man mag ja Elayne und mir solange die Hölle heiß machen, bis die Wahrheit ans Licht kommt, aber sie wird, und diese Wahrheit wird zur Folge haben, daß Ihr länger weint als Faolain und Emara zusammen.«
Das Schweigen dehnte sich. Wie brachte es die andere fertig, so kühl zu wirken? Nynaeve hatte immer geglaubt, es habe mit den typischen Eigenschaften einer Aes Sedai zu tun. Ihre Lippen fühlten sich trocken an, aber das war auch das einzige Trockene an ihr. Wenn sie sich geirrt hatte, wenn Siuan bereit war, die Herausforderung anzunehmen, dann wußte sie, wer am Ende weinen würde.
Schließlich murrte Siuan: »Ich hoffe, Moiraine hat Egwene nicht auch so aufmüpfig werden lassen.« Nynaeve verstand nichts, aber sie hatte auch kaum Zeit zum Überlegen. Im nächsten Augenblick beugte sich die andere Frau mit ausgestreckter Hand vor. »Ihr hütet meine Geheimnisse und ich die Euren. Unterrichtet mich im Gebrauch des Rings, und dafür könnt Ihr nach Herzenslust die Ergebnisse einer Dämpfung untersuchen.«
Nynaeve konnte gerade noch ein erleichtertes Seufzen unterdrücken, als sie die angebotene Hand drückte. Sie hatte es geschafft. Zum erstenmal in einer Zeitspanne, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, hatte jemand versucht, sie einzuschüchtern, und war damit gescheitert. Sie fühlte sich beinahe schon stark genug, um Moghedien gegenüberzutreten. Beinahe.
Elayne holte Min gerade noch am Hinterausgang der Schenke ein und schritt neben ihr her. Min hatte sich etwas, das aussah wie zwei oder drei weiße Männerhemden, unter einen Arm geklemmt. Die Sonne stand genau über den Baumwipfeln, und in ihrem langsam in Dämmerung übergehenden Schein wirkte der Erdboden im Stallhof, als habe man ihn vor nicht allzu langer Zeit mit der Harke gewendet. Genau in der Mitte stand ein mächtiger Baumstumpf; wahrscheinlich der einer Eiche. Der Steinbau des Stalles mit seinem Strohdach wies keine Torflügel auf, und so konnte man die Männer gut beobachten, die zwischen den besetzten Boxen arbeiteten. Zu ihrer Überraschung stand Leane am Rand des Schattens neben dem Stall und unterhielt sich mit einem hochgewachsenen Mann. Er war grob gekleidet und wirkte wie ein Schmied oder auch wie ein Wirtshausschläger. Das Überraschende war, wie nahe sich Leane bei ihm befand, als sie den Kopf im Nacken hielt und zu ihm aufblickte. Und dann tätschelte sie doch tatsächlich seine Wange, bevor sie sich abwandte und zur Schenke zurückeilte. Der große Mann sah ihr noch einen Moment lang hinterher und verschmolz dann mit dem Schatten.
»Frage mich bitte nicht, was sie vorhat«, sagte Min.
»Seltsame Leute kommen und besuchen Siuan und sie, und einige der Männer... Nun, du hast es ja selbst gesehen.«
Elayne war es eigentlich gleichgültig, was Leane machte. Doch nun, da sie mit Min allein war, wußte sie nicht, wie sie das Thema ansprechen sollte, an dem sie interessiert war. »Was machst du so?«
»Wäsche waschen«, knurrte Min und nahm gereizt ihre Hemden auf den anderen Arm. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie gut es tut, Siuan zur Abwechslung mal als die Maus zu sehen. Sie weiß nicht, ob der Adler sie fressen oder zum Haustier machen wird, aber sie hat die gleiche Entscheidungsfreiheit, die sie anderen immer läßt. Gar keine nämlich!«
Elayne beschleunigte ihren Schritt, um mitzuhalten, als sie über den Hof gingen. Was das auch sollte, jedenfalls gab es ihr keine Möglichkeit, auf ihr Thema zu sprechen zu kommen. »Hast du geahnt, was Thom vorschlagen würde? Wir bleiben jedenfalls.«
»Das habe ich ihnen vorhergesagt. Dazu brauchte ich keine Vision.« Min verlangsamte ihren Schritt. Sie befanden sich zwischen dem Stall und einer bröckligen Mauer in einer schmalen Gasse von niedergetrampeltem Gestrüpp und Unkraut. »Ich habe einfach nicht glauben können, daß ihr euch die Chance entgehen laßt, weiterzustudieren. Du warst doch immer
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