Die Feuer von Córdoba
nicht lange. Sie mochte den Kaiser, und wie er so dasaß und nach draußen starrte, wirkte er so einsam und bedrückt, dass sie es nicht länger mit ansehen konnte . Er tat ihr Leid. Er tat ihr so Leid, dass sie für einen Augenblick sogar ihre eigenen Sorgen vergaß, die seit dem Gespräch mit Cosimo vor zwei Tagen wie Blei auf ihrer Seele lasteten.
»Sire«, sagte sie leise, »sind schlechte Nachrichten gekommen ?«
Er wandte ihr den Kopf zu und blickte sie an, als hätte er für einen Moment vergessen, dass sie da war. Dann sah er wieder zum Fenster hinaus. Ein gequältes Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Schlechte Nachrichten?«, sagte er leise. »Nein, nicht wirklich. Nur ein kleiner farbiger Mosaikstein. Doch zusammen mit allen anderen, die ich in den vergangenen Tagen und Wochen erhalten habe, fügt er sich zu einem großen Bild, einem schrecklichen Bild. Das Reich brennt, Señora Anne. Es brennt an allen Ecken. Die so genannte Reformation breitet sich aus wie die Pest. Wenn es so weitergeht, wird möglicherweise ein Krieg bald unvermeidbar sein. Mein Sohn trifft in Toledo Entscheidungen, von denen ich nur hoffen kann, dass es sich um die typischen jugendlichen Torheiten handelt und nicht um Anzeichen seiner wahren Gesinnung. Und in der Neuen Welt …« Er seufzte tief. »Und obwohl ich überall im Reich gebraucht werde, sitze ich hier in Córdoba fest, um Ketzerprozessen beizuwohnen, die meiner ehrlichen Meinung nach völlig überflüssig sind. Selbst die Kirche hat zurzeit dringendere Probleme.«
Anne lächelte. Es erfüllte sie immer noch mit Verwunderung , aber natürlich auch mit Stolz, dass Karl V. ihr gegenüber so offen war. Er behandelte sie fast wie seinesgleichen.
»Was steht in dem Brief, Sire?«, fragte sie. »Sind es Nachrichten aus Deutschland?«
Karl V. blickte mit gerunzelter Stirn auf das Schreiben in seinen Händen, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, eigentlich ist dieser Brief nicht einmal besonders wichtig. Er stammt von meinem Hofgärtner in Toledo. Einer der Generäle hat offenbar aus der Neuen Welt verschiedene seltsame Dinge mitgebracht, unter anderem auch Pflanzen, die er ›Batate‹ oder so ähnlich nannte. Er soll gesagt haben, dass sie vorzüglich seien und die Eingeborenen sie in großen Mengen verzehren würden. Mein Hofgärtner hat die Pflanze daraufhin angepflanzt . Doch alle, die von den Früchten gegessen haben, sind krank geworden. Na ja«, er schüttelte den Kopf und ließ das Schreiben sinken, »wie ich schon sagte, so wichtig ist es nicht. Gottlob ist schließlich niemand daran gestorben. Wahrscheinlich sind diese Eingeborenen anders geartet als wir und vertragen deshalb auch andere Nahrung. Ich werde dem Oberhofgärtner sagen, er soll die Pflanze zur Zierde halten oder vernichten.«
Anne unterdrückte nur mit Mühe ein Lachen. Die Kartoffel . Dunkel erinnerte sie sich an Bemerkungen ihres Geschichtslehrers über die Verwirrung, die diese Pflanze anfangs in Europa gestiftet hatte. Nun erlebte sie es selbst.
»Sire, vergebt mir, dass ich Euch zu widersprechen wage«, sagte sie, »aber der General hat Recht. Diese Pflanze ist wirklich eine Bereicherung, vorausgesetzt, man erntet die unterirdisch wachsenden Knollen und nicht die Früchte, die in der Tat giftig sind.«
Karl V. richtete sich so abrupt auf seinem Lehnstuhl auf, dass er dabei den Schemel umwarf. Er zuckte zusammen und stieß einen Schmerzensschrei aus. »Ver…!« Er ballte die Faust und biss die Zähne zusammen.
»Sire!«, rief Anne erschrocken und stürzte zu ihm hin. »Was ist mit Euch?«
»Nichts«, stöhnte er. »Nichts weiter außer diesem Zipperlein , wie die Quacksalber es so freundlich und harmlos zu nennen belieben. Es plagt mich heute mal wieder außerordentlich .«
Er hat Gicht, dachte Anne und sah voller Entsetzen auf seinen linken Fuß hinab. Sein Schuh – oder besser gesagt sein Pantoffel – war hinuntergefallen, und selbst durch den Strumpf war die Schwellung der Zehen deutlich zu erkennen. Aber was konnte man gegen diese Krankheit tun? Wenn sie Ärztin gewesen wäre oder wenigstens Krankenschwester, hätte sie ihm bestimmt ein paar nützliche Ratschläge geben und seine Schmerzen lindern können. Dann fiel ihr plötzlich etwas ein. Hatten sie vor zwei Jahren nicht einen Artikel über Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und Gicht in ihrem Magazin veröffentlicht? Sie hatte den Artikel damals zwar nicht selbst geschrieben, aber sie hatte ihn redigiert. Vielleicht
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