Die Feuer von Córdoba
Dank«, erwiderte Anne, »aber ich bin satt. Ich könnte beim besten Willen keinen Bissen mehr hinunterbringen . Mein Kompliment, Anselmo, dieses Mahl war wirklich köstlich.«
Anselmo neigte den Kopf, schien sich jedoch nicht wirklich über das Kompliment zu freuen. Seine Gedanken waren offensichtlich mit anderen Dingen beschäftigt. Nervös rutschte er auf seinem Stuhl hin und her wie ein Kind, das nach dem Essen an Heiligabend sehnsüchtig auf die Bescherung wartet.
Auch Cosimo lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»Anselmo, räum jetzt den Tisch ab. Danach können wir reden.«
»Nein!«, widersprach Anselmo heftig. »Abräumen kann ich auch später. Außerdem macht Reden oft hungrig.«
Cosimo runzelte die Stirn und hob eine Braue. »Wahrlich, manchmal frage ich mich, wer in diesem Haus der Herr und wer der Diener ist. Ich hätte nicht übel Lust …«
Doch Anne legte ihm eine Hand auf den Arm. »Bitte, Cosimo , Anselmo hat Recht. Auch ich bin neugierig und kann es kaum mehr erwarten zu erfahren, was alles in den vergangenen vierzehn Jahren geschehen ist.«
Anselmo lächelte ihr zu.
»Gut, wie Ihr meint«, gab Cosimo seufzend nach. »Womit wollen wir beginnen?«
»Wo ist das Pergament?«, fragte Anselmo wie aus der Pistole geschossen. »Ich meine das Pergament, das wir Giacomo in der Grabeskirche in Jerusalem abgejagt haben. Es war fast ebenso plötzlich verschwunden wie Ihr, und deshalb dachten wir, nein, wir hofften, dass Ihr es mitgenommen habt. Oder ist es etwa gestohlen worden? Und was war mit Euch? Wo seid Ihr gewesen? Wie habt Ihr uns gefunden und …«
»Halt, Anselmo, das reicht!«, unterbrach ihn Cosimo. »Hören wir doch erst einmal, was uns die Señora zu sagen hat.«
Beide richteten ihren Blick erwartungsvoll auf Anne.
Anne strich sich das Haar aus dem Gesicht. Jetzt, da es so weit war, wusste sie nicht, wie sie beginnen sollte.
»Das Pergament ist nicht gestohlen worden«, sagte sie. »Ich hatte es bei mir, als ich in der Bibliothek eingeschlafen bin.«
»Ihr habt es also mit in … in Eure Zeit genommen?«, fragte Cosimo. Dabei wählte er seine Worte so vorsichtig, als würde allein die Verwendung der Begriffe »Zukunft«, » Vergangenheit « und »Gegenwart« einen Eingriff in den Lauf der Geschichte darstellen.
»Ja, das habe ich. Und ich habe es …«
Doch Cosimo hob die Hand.
»Bitte, sprecht nicht weiter. Ich möchte nicht schon heute wissen, was das Schicksal mir eines Tages bringen wird. Meine Erfahrungen haben mir hinlänglich gezeigt, wie gefährlich solch ein Wissen sein kann.«
»Wo ist das Pergament jetzt?«, fragte Anselmo. Wie er so vor Nervosität auf dem Stuhl hin und her zappelte, sah er aus wie ein aufgeregter Teenager. Und es war schwer vorstellbar, dass er in Wirklichkeit das achtzigste Lebensjahr bereits hinter sich gelassen hatte.
»Ich habe es bei mir«, erklärte Anne und zuckte zusammen , als Anselmo mit einem triumphierenden Schrei seine Faust auf den Tisch schmetterte. »Cosimo sagte, ich soll …« Sie warf Cosimo einen Blick zu und verstummte. Was Cosimo im Jahr 2004 zu ihr sagen würde, wollte er jetzt bestimmt nicht erfahren. Aber es war fast unmöglich, Anselmos Fragen zu beantworten, ohne etwas darüber zu verraten, was in vierhundertsechzig Jahren geschehen würde.
»Sie hat es!« Anselmo sprang von seinem Stuhl auf. » Halleluja ! Sie hat es!«
»Still, Anselmo!«, fuhr Cosimo ihn an. Anselmo schwieg und setzte sich wieder. Aber ein breites Grinsen lag auf seinem Gesicht. »Ihr habt das Pergament also von zu Hause mitgebracht, wo Ihr die letzten vierzehn Jahre gewesen seid.«
»Ja, genauso ist es«, sagte Anne. Dann holte sie aus dem Beutel an ihrem Kleid die lederne Kartusche mit den drei Pergamentseiten hervor. »Und ich bin hier, um es Euch zu geben.«
Sie reichte Cosimo die Kartusche. Seine Hände zitterten, als er den Knebel öffnete, den Deckel abhob und die zusammengerollten Schriften herausnahm. Rasch schob Anselmo Teller und Schüsseln beiseite.
»Habt Ihr die Pergamente bereits entschlüsselt?«, fragte er Anne, während Cosimo sie ausbreitete und nebeneinander auf den Tisch legte.
»Nein, es war mir nicht möglich.«
Cosimo kniff die Augen zusammen und nickte langsam. »Das kann ich verstehen. Diese Geheimschrift ist überaus kompliziert. Aber Merlin hat sich etwas dabei gedacht.« Er tippte auf den kleinen Falken, die einzige Zierde der ansonsten recht langweiligen Blätter – wenn man einmal von der verwirrenden, sinnlos
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