Die Feuer von Córdoba
erscheinenden Aneinanderreihung von Zeichen und Buchstaben absah. Auf Anne machten sie nicht gerade den Eindruck einer durchdachten Geheimschrift. Viel eher kamen sie ihr vor wie die Kritzeleien eines Kindes, das noch nicht schreiben konnte. »Er wollte, dass nur derjenige, der über ausreichend Wissen, Fantasie und Geduld verfügte, auch im Stande sein würde, seine Schriften zu entziffern.« Er fuhr sich durchs Haar. »Es ist ihm wirklich vortrefflich gelungen . Ich habe mich zwar über viele Jahre hinweg eingehend mit der Geheimschrift des alten Magiers beschäftigt und mittlerweile mehr als eine seiner Schriften übersetzt, und dennoch kann ich nicht auf Anhieb sagen, ob es die gesuchte Schrift ist oder nicht.«
Anselmo wurde blass. »Ihr habt doch nicht etwa Zweifel ?«
Cosimo zuckte mit den Schultern. »Ich bin vorsichtig, das ist alles. Nicht einmal die Tatsache, dass wir beide an einem fernen Tag die Señora mit diesem Pergament hierher schicken , lässt den Schluss zu, dass es sich um das gesuchte Pergament handeln muss. Es mag sein, dass uns in der Zukunft andere Gründe dazu bewegen, Señora Anne zu bitten, das Elixier zu trinken. Es ist schwierig, das zu beurteilen.« Er kratzte sich am Kopf. »Ich schätze, in zwei bis drei Tagen werden wir wissen, ob wir nun tatsächlich das Rezept für das Gegenmittel in Händen halten oder ob wir weitersuchen müssen. Wenigstens scheint diese Schrift vollständig zu sein.«
»Na, wenn das kein Trost ist«, murmelte Anselmo und erhob sich wieder. Er ging zum Kamin, lehnte seine Stirn gegen den Sims und starrte ins Feuer, während Cosimo die drei Pergamente fixierte, als wollte er ihnen allein mit der Kraft seines Blicks ihr Geheimnis entlocken. Es war nichts mehr zu hören als das Prasseln des Feuers.
Anne war hin und her gerissen. Sie wusste schließlich, dass auf diesen drei Pergamentseiten das Rezept für das Drachenöl stand, das einzige Mittel, mit dem die lebensverlängernde Wirkung des Elixiers der Ewigkeit aufgehoben werden konnte . Anselmo hatte es ihr schließlich gesagt. Er hatte ihr förmlich ins Gesicht geschrien, dass sie ihnen das Rezept bringen würde. Aber so gern sie den beiden die Wahrheit gesagt und sie getröstet hätte, sie durfte es nicht. Cosimo hatte ihr verboten , über die Zukunft zu reden. Und wenn sie sich darüber hinwegsetzen würde, würde er sie vermutlich lynchen.
»Und wie ist es Euch ergangen?«, fragte sie schließlich in das Schweigen der beiden Männer hinein.
»Soll ich es Euch sagen? Wollt Ihr es wirklich wissen?« Anselmo wandte sich mit grimmigem Gesicht zu ihr um. »Wir waren unterwegs. Genauso wie in den Jahren und Jahrzehnten davor waren wir immer unterwegs. Stets auf der Spur dieses gemeinen Mörders, den wir doch nie erwischen konnten. Manchmal frage ich mich, auf welcher Seite Gott eigentlich steht.«
Cosimo hob den Kopf. »Anselmo!«, sagte er streng. »Du vergisst dich.«
»Aber es ist doch so!«, rief Anselmo aus, ballte die Fäuste und wandte sich wieder an Anne. »Seit Giacomo de Pazzi damals mit Eurem neugeborenen Sohn aus Florenz geflohen ist, sind wir diesem Kerl auf den Fersen. Wir haben ihn gesucht , wir haben seine Spur verfolgt. Immer vergebens. In Jerusalem waren wir ihm schließlich so nahe wie nie zuvor. In der Grabeskirche standen wir ihm Auge in Auge gegenüber. Wir hätten nur die Hand nach ihm auszustrecken brauchen. Wir waren so nahe, dass wir ein Messer in sein schwarzes Herz hätten …«
»Anselmo!« Cosimo schlug mit der Hand auf den Tisch. Seine dunklen Augen funkelten. »Hör auf damit. Wir konnten ihn nicht töten. Außerdem befanden wir uns in einer Kirche, einem geweihten Ort. Und wir werden auf heiligem Boden kein Blut vergießen.«
»Heiliger Boden? Dass ich nicht lache. Giacomo, der Priester , der ›Retter der Welt‹, der ›Vater aller Gläubigen‹, hat sich nicht daran gestört, in der Kirche vor dem Altar einen gemeinen Mord zu begehen. Er hat dort vor unseren Augen Rashid umgebracht!«
»Und dafür wird er gewiss eines Tages gerichtet werden«, sagte Cosimo, und Anne hörte seiner Stimme deutlich an, dass er sich Mühe gab, ruhig zu bleiben. »Aber nicht von uns. Es steht uns nicht zu, das Urteil über ihn zu fällen. Du sühnst kein Unrecht, indem du ein weiteres begehst, Anselmo. Giacomo zu töten wäre keine bessere Tat als der Mord an Rashid.«
»Aber es hätte zahllosen Menschen viel Leid erspart«, zischte Anselmo durch die zusammengebissenen Zähne.
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