Die Feuer von Córdoba
»Stattdessen ist er uns wieder einmal entwischt. Und mit jedem Schritt, den er seither getan hat, konnte er sein Gift ungehindert weiter verbreiten. Dieses Gefasel von dem ›reinen Glauben‹, den ›Wegen, die dem Herrn bereitet werden müssen ‹!« Anselmo spuckte ins Feuer. Sein Gesicht war weiß vor Zorn, und er wandte sich wieder an Anne. »Denn Giacomo ging nicht auf direktem Weg nach Córdoba, o nein, er hat die Gelegenheit zur Verbreitung seiner Lehren wahrhaft trefflich genutzt. Zuerst ging er nach Damaskus, um dort Unruhe zu stiften, von dort aus nach Tripolis. Im Hafen bestieg er ein Schiff, das ihn nach Piräus brachte. Wir haben sechs Wochen lang warten müssen, bis wir ihm endlich folgen konnten. Und als wir schließlich in Piräus ankamen, war seine Spur schon wieder kalt. Doch wir haben sie erneut aufgenommen. Ein Hirtenjunge erinnerte sich an ihn und Stefano – die beiden ›frommen Pilger‹, wie er sie nannte. Ja, Giacomo versteht es, die Herzen der Menschen zu verführen. In Jerusalem hatte er nur ein paar Hundert Anhänger. Gott allein mag wissen, wie viele seither auf seinem Weg quer durch Europa hinzugekommen sind. Überall, wo wir waren, wurden Juden vertrieben, und die Scheiterhaufen brannten lichterloh. Giacomos Lehren verbreiten sich wie die Pest.« Anselmo zitterte vor Wut. »Hier in Córdoba hat er jetzt sein Meisterstück begonnen. Anders als in anderen Teilen der Welt war der Acker hier bereits gepflügt, und so ist die Saat seines Giftes innerhalb kürzester Zeit aufgegangen. Fast täglich lässt er Menschen im Kerker der Inquisition verschwinden – Juden, Mauren, wer auch immer ihm im Weg zu stehen scheint. Niemand kann ihn aufhalten. Und er wird bis zum Jüngsten Gericht so weitermachen , weil wir nicht in der Lage waren, ihn zur Hölle zu schicken, als wir die Gelegenheit dazu hatten.«
Cosimo holte tief Luft. Seine Hände lagen scheinbar ruhig auf der Tischplatte, aber seine Augen glühten förmlich, und die Muskeln an seinen Wangen arbeiteten.
»Wir haben andere Werkzeuge, um die Menschen zu unterstützen , die unter Giacomo leiden oder durch ihn zu Schaden gekommen sind«, sagte er. »Wir haben unseren Verstand, unsere Bildung, unseren Reichtum und unseren Einfluss. Aber Mord gehört wahrlich nicht dazu.«
Anselmo schlug voller Wut gegen den Kaminsims.
Anne sah besorgt von einem zum andern. Sollte sie vielleicht doch sagen, dass es sich bei dem Pergament um die richtige Schrift handelte?
»Wir hätten die Wahl gehabt, Anselmo«, fuhr Cosimo fort, und seine Stimme klang wieder etwas ruhiger. »Vor vielen Jahren hätten wir einen anderen Weg einschlagen können . Aber wir haben diesen Weg gemieden, denn er hätte uns nur dorthin geführt, wo Giacomo heute steht. Und das weißt du ebenso gut wie ich.«
Anselmo fuhr sich durchs Haar, das mittlerweile zu allen Seiten hin abstand. Er biss die Zähne zusammen, dass es knirschte.
»Ja, das weiß ich. Aber ich könnte es nicht ertragen, Giacomo noch einmal davonkommen zu lassen. Eher würde ich ihm in aller Öffentlichkeit die Kehle durchschneiden. Dafür würde ich auch mit Freuden auf das Schafott gehen.«
Wie Anne sich erinnerte, verlängerte das Elixier der Ewigkeit zwar das Leben und schützte vor Alter und Krankheiten, es machte jedoch nicht unverwundbar. Ein Messer hätte also wirklich alle Probleme lösen können, was Cosimo jedoch ablehnte . Eine überaus ehrenhafte Einstellung, wie Anne fand. Andererseits handelte es sich beim Drachenöl um ein Gift. Wenn Giacomo davon trank, würde er zwangsläufig sterben. Wo war der Unterschied, ob er nun erstochen oder vergiftet würde? Oder bestand der Unterschied etwa darin, dass sich bei Giacomos Tod Anselmo und Cosimo nicht selbst die Hände schmutzig zu machen brauchten, wenn sie es war, die ihm das Gift einflößte? Dann wäre sie eine Mörderin. Das war ein Gedanke, der ihr gar nicht behagte.
»Wir sollten erst einmal abwarten, was in dem Pergament steht«, meinte sie schließlich, um neben Anselmo auch sich selbst zu beruhigen. »Wenn Ihr die Schrift entschlüsselt habt, sehen wir weiter.«
»Einen klügeren Rat hätte wohl kein Mann geben können «, sagte Cosimo, und der Hauch eines Lächelns huschte über sein müdes, erschöpftes Gesicht. »Die Señora hat Recht, Anselmo. Jetzt ist weder die Zeit für Euphorie noch für Verzweiflung . Erst wenn wir die Schrift lesen können, müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir vorgehen sollen. Bis dahin bleibt
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