Die Feuer von Córdoba
eng und niedrig sie war, so niedrig, dass er sich vermutlich nur ein bisschen strecken musste, um die Decke berühren zu können. Er spürte, wie seine Brust enger wurde und wilde Panik ihm die Kehle zuschnürte . Die schroffen Felsen über seinem Kopf schienen zu wachsen, die Felswände kamen auf ihn zu. Bald würden sie auch die letzte Luft zum Atmen aus der Höhle gepresst haben, und dann – kurz bevor er dem Erstickungstod erlag – würden sie ihn zwischen sich zerquetschen.
Anselmo riss sein Hemd auf, um besser atmen zu können, doch auch das half nichts. Er bekam keine Luft, das Blut rauschte in seinen Ohren, die Stimmen der anderen dröhnten in seinem Kopf. Bereits jetzt schienen schockschwere Felsen auf seiner Brust zu liegen. Mochte Teresa denken, er sei ein Feigling, mochte sie ihn verachten, er hielt es jedenfalls keinen Augenblick länger in der Höhle aus. So schnell er konnte rannte er dem Höhlenausgang entgegen.
»He, Anselmo, bleib!«, rief Cosimo ihm nach.
»Was ist mit ihm?«
Das war Teresa. Ihre liebliche Stimme klang langsam, gedehnt , als würde sie versuchen unter Wasser zu sprechen. Trotzdem konnte er die Besorgnis heraushören. Noch war sie um ihn besorgt, doch bald würde sie ihn nur noch verachten. Aber das war ihm egal. Er hatte den Höhlenausgang erreicht, er war frei, er lebte. Gierig sog er seine Lungen voll mit der klaren Luft. Seine Knie zitterten so erbärmlich, dass sie ihn nicht mehr trugen und er erschöpft auf einen Felsbrocken niedersank. Er stützte seinen Kopf in die Hände. Das ist wahrlich nicht mein Tag, dachte er. Erst Pferde und dann diese Enge …
Eine Hand auf seiner Schulter ließ ihn aufblicken. Cosimo kniete neben ihm im Staub und sah ihn voller Mitgefühl an. Hinter ihm stand Teresa. Ihr Gesicht war bleich.
»Ist er krank?«, fragte sie, und nicht allein ihre Stimme bebte. Die brennende Fackel, die sie immer noch trug, vollführte geradezu einen Tanz in ihrer Hand.
»Nein«, antwortete Cosimo, »zumindest nicht im eigentlichen Sinne. Er leidet an Klaustrophobie – Platzangst. Er fürchtet sich vor engen, dunklen Räumen.«
»Oh!« Teresa sah ihn bestürzt an.
Jetzt kommt es, dachte er, gleich wird in ihrem Gesicht dieser verächtliche Ausdruck erscheinen, und dann wird sie dich nicht mehr lieben.
»Warum, Anselmo?«, fragte sie und ließ sich auf der anderen Seite von ihm niedersinken. Sie nahm seine schweißnassen Hände in ihre und sah ihn mit ihren wunderschönen Augen an. Doch zu seinem Erstaunen konnte er darin keine Verachtung lesen, sondern nur grenzenlose Anteilnahme. »Warum hast du mir denn nichts davon gesagt? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dir empfohlen, zu Hause zu bleiben. Ich hätte dich doch niemals diesem schrecklichen Erlebnis ausgesetzt, wenn ich gewusst hätte, dass …« Sie brach ab und küsste ihn zärtlich. »Es muss furchtbar für dich gewesen sein.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Cosimo.
Anselmo zuckte mit den Schultern. »Mir geht es gleich wieder besser«, sagte er und versuchte tapferer auszusehen, als er sich fühlte. »Ich werde das schon schaffen. Gebt mir eine Fackel und …« Er schluckte. »Ich habe mich schließlich auch durch die Minen Salomons gekämpft.«
Cosimo sah ihn lange und ernst an. »Bist du dir sicher, Anselmo?«
Er holte tief Luft, dann nickte er. »Ja. Jetzt weiß ich ja, was mich erwartet.«
Cosimo erhob sich. »Gut. Es ist deine Entscheidung«, meinte er und half Anselmo, aufzustehen.
»Es ist auch nicht sehr weit«, sagte Teresa und lächelte ihm aufmunternd zu. »Außerdem sind die meisten Höhlen und Gänge, die wir durchqueren müssen, viel geräumiger als die Höhle am Eingang.«
»Dann wird es gehen«, entgegnete Anselmo und hoffte inständig , dass er sich nicht selbst belog. »Nun kommt, bringen wir es hinter uns.«
Sie gingen alle wieder in die Höhle zurück. Teresa nahm Anselmos Hand und führte ihn. Wahrscheinlich hätte es ihm peinlich sein sollen. Ein vernünftiger, normaler Mann ließ sich nicht von der Frau, die er liebte, führen und trösten wie ein kleines Kind. Aber er war nie ein vernünftiger Mann gewesen. Und als er dann vor siebzig Jahren das Elixier der Ewigkeit getrunken hatte, hatte er sowieso jede Normalität hinter sich gelassen. Er hatte keinen Grund, sich an die Gepflogenheiten anderer zu halten. Er war nicht wie sie. Er war ein Narr, ein Dieb und der Freund und Diener eines Mannes, dessen Lebensgeschichte noch ungewöhnlicher war als seine
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