Die Feuer von Córdoba
kaiserlichen Familie und ihrer engsten Vertrauten sowie die offiziellen Empfangssäle untergebracht waren , die Nebengebäude für die Diener und Soldaten, die Stallungen , die Kapelle und die Gärten. Er war gern hier in Toledo, er liebte das Schloss mit seinen schönen Anlagen und ausgedehnten Gärten. Zu seinem großen Kummer kam er viel zu selten her. Das Reich, über das er herrschte, war groß, und die Schwierigkeiten und Angelegenheiten in allen Teilen dieses Herrschaftsgebiets zwangen ihn ständig zu Reisen von einem Ende zum anderen. Außerdem hatte er seinem ältesten Sohn Philipp die Regentschaft über Spanien übertragen. Auch wenn er sich noch so sehr wünschte, einfach bleiben zu können – überall im Reich erwarteten ihn dringendere Aufgaben als hier in Toledo. Und nur ungern dachte er daran, dass er das Schloss schon bald wieder verlassen musste. Viel früher als geplant. Er würde nicht einmal mehr das Osterfest hier feiern können.
Aber jetzt war er noch hier, jetzt wollte er noch nicht an Abreise und Abschied denken, sondern vielmehr an all die schönen, kostbaren Erinnerungen, die ihn mit Toledo verbanden . In diesem Schloss hatte er einen Teil der glücklichsten Zeit seines Lebens verbracht. Hier waren einige seiner Kinder zur Welt gekommen, und jeder Stein, jedes Möbelstück, jeder Busch erzählte ihm von Isabella. Seiner Isabella. Gleich als er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte er sie geliebt. Und wenn nicht bereits die Hochzeit mit ihr eine beschlossene Sache gewesen wäre, er hätte dafür gesorgt, dass sie und keine andere seine Gemahlin geworden wäre.
Er kniff die Augen zusammen und starrte in die Dunkelheit . Natürlich konnte er jetzt den Kräutergarten nicht erkennen , aber er wusste genau, wo er lag. Mit verbundenen Augen hätte er ihn gefunden. Immer wenn er dort war, fühlte er sich seiner Gemahlin besonders nahe. Dann war es so, als wäre sie immer noch bei ihm und würde jeden Augenblick hinter einer der Statuen hervortreten, mit einem Strauß frisch gepflückten Quendel im Arm.
Isabella hatte den Kräutergarten anlegen lassen, nachdem sie einige Schriften der heiligen Hildegard von Bingen studiert hatte. Angeblich der Heiligen zu Ehren und weil sie den Wohlgeruch und das Aussehen der zahlreichen Kräuter so sehr liebte. In Wahrheit hatte Isabella die Kräuter regelmäßig geerntet und war heimlich damit in die umliegenden Dörfer gefahren, um sie jenen zu bringen, die entweder zu arm, zu krank oder zu unwissend waren, um sich selbst mit heilkräftigen Kräutern zu kurieren. Als er das herausgefunden hatte, hatte er mit Isabella geschimpft. Nicht etwa, weil der Gedanke als solcher seiner eigenen Gesinnung widersprochen hätte. Im Gegenteil. Doch er hatte gefürchtet, dass sie sich zu sehr in das Blickfeld der heiligen Inquisition rückte, wenn sie sich mit Kräutern und Heilkunde beschäftigte. Und was hatte sie ihm darauf geantwortet?
»Aus diesem Grund habe ich dir nichts davon erzählt, Liebster. Ich wollte dich nicht unnötig gefährden.« So war Isabella. Von diesem Tag an hatte er sie – als Bauer oder Kaufmann verkleidet – auf ihrem Weg in die Dörfer begleitet, so oft es seine Zeit und seine zahlreichen Pflichten zugelassen hatten. Obgleich er natürlich gewusst hatte, dass nicht einmal die Anwesenheit des Kaisers seiner Gemahlin wirklich Schutz vor den Häschern der Inquisition geboten hätte.
Die Inquisition. Karl V. sah in die Dunkelheit hinaus. Plötzlich fröstelte er.
In keinem der zahlreichen Fenster des Schlosses brannte noch Licht. Die Minister, Ratgeber und Generäle lagen zu dieser Stunde in ihren Betten und schliefen. Abgesehen vom Wachpersonal auf den Zinnen und den Dienern, die während der Nacht die Feuer im Schloss unterhielten, ruhten jetzt alle. Er war allein, und alles war still – keine hastigen Schritte auf den Fluren, keine erregten Stimmen in den benachbarten Gemächern , keine Geräusche außer denen der Nacht. Auf einem der Türme schrie eine Eule. Wollte sie die Mäuse warnen, bevor sie auf die Jagd ging? Wollte sie ihnen eine Chance geben zu entkommen, oder wollte sie lediglich ihr eigenes Vergnügen steigern, indem sie die Jagd dadurch schwieriger machte? Im schwachen Schein der Wachfeuer sah Karl V., wie ein großer schwarzer Schatten seine Schwingen ausbreitete und lautlos und voller Anmut den Turm hinabsegelte, ohne auch nur einmal mit den Flügeln zu schlagen. Auch die Inquisitoren und ihre Untergebenen jagten im Dunkeln.
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