Die Feuer von Córdoba
Waren sie wie die Eulen? Karl V. prüfte den Vergleich. Nein, Eulen waren große, stille Jäger, die auch mal ein Opfer entkommen ließen, wenn es sich als tapfer und gewandt erwies. Die Inquisitoren hingegen gaben niemandem eine Chance. Sie spannen ihre Netze über das ganze Land und warteten wie abscheuliche Spinnen in der Heimlichkeit auf Beute. Und wer auch immer sich in ihren Fallstricken verfing, war verloren . Rettungslos. Erbarmungslos.
Seine Gedanken kehrten wieder zu dem Brief zurück, den er an diesem Tag erhalten hatte, und er stöhnte gequält auf. Erneut pochten beißende Schmerzen in seinen geschwollenen Gelenken.
Ein reitender Bote hatte den Brief kurz nach dem Mittagsmahl gebracht, und allein der Anblick des Siegels hatte ausgereicht , ihm den Magen umzudrehen. Auf dem Siegel war ein Hund zu sehen, der eine brennende Fackel im Maul trug – das Siegel der heiligen Inquisition. Der Brief war sehr höflich verfasst und enthielt die Bitte, dass er nach Córdoba reisen möge, um dort bei einigen wichtigen Ketzerprozessen den Vorsitz zu führen, so wie es das Protokoll der heiligen Inquisition in einigen Fällen vorsah.
Das war keineswegs ungewöhnlich. Es kam immer wieder vor, dass Karl V. solche Briefe von Inquisitoren erhielt. Dennoch war ihm jedes Mal speiübel, wenn er dieses verhängnisvolle Siegel erblickte. Und obgleich er sich keinen Grund denken konnte, fürchtete er stets, selbst angeklagt zu werden und die Aufforderung zu bekommen, sich zum Verhör zu melden. Dass sein Aufenthalt in Toledo geheim gehalten worden war, verstärkte sein Unbehagen noch um ein Vielfaches. Niemand außer seinen engsten Vertrauten und Ministern im Reich wusste, dass der Kaiser bei seinem Sohn in der Residenz von Toledo weilte. Woher hatte es dieser Inquisitor erfahren?
Gleich nachdem Karl V. den Brief gelesen hatte, hatten die Schmerzen begonnen. Über viele Tage, sogar Wochen hinweg war es ihm gut gegangen. Er hatte keine Schmerzen gehabt – wenigstens keine, die der Beachtung wert gewesen wären. Er hatte ohne ein Pulver nehmen zu müssen reiten können. Er hatte sogar auf dem Empfang anlässlich seiner Ankunft in Toledo mit seiner Tochter Maria getanzt und sich über ihre Anmut und Schönheit gefreut, die ihn an seine Gemahlin erinnert hatte. Dann war dieser Brief gekommen. Und obwohl er sofort ein Pulver eingenommen hatte, waren die Schmerzen von Stunde zu Stunde schlimmer geworden.
Warum nur hatte er den Brief geöffnet? Weshalb hatte er ihn nicht einfach in das Feuer geworfen, dorthin, wo die Glut am heißesten war?
»Weil selbst die höflichste Bitte eines Inquisitors nichts anderes als ein Befehl ist«, sagte Karl V. leise in die Dunkelheit hinein. »Ein Befehl, dem sich niemand widersetzen kann. Nicht einmal der Kaiser.«
Er seufzte. Seine Augenbraue juckte. Vorsichtig hob er die rechte Hand und fuhr sacht mit dem Knöchel des Mittelfingers darüber. Trotzdem stöhnte er auf. Zipperlein. Wer auch immer diesem Leiden solch einen niedlichen Namen gegeben hatte, hatte anscheinend nicht gewusst, wovon er sprach. Ihn begleitete die Krankheit schon seit etlichen Jahren. Manchmal war sie sanft wie ein schnurrendes Kätzchen, sodass er sie ertragen konnte, dann wieder wurde sie ganz plötzlich wütend und bissig wie ein gereizter Hund. Manchmal verbarg sie sich für Wochen oder gar Monate in irgendeiner Ecke, sodass er ihre Gegenwart fast vergaß. Doch es war nur eine gemeine Täuschung, ein abscheulicher Trick, um auf den richtigen Augenblick zu warten, damit sie umso heftiger zupacken konnte. So wie jetzt.
Er sah auf seine Hände hinunter, die auf dem Fensterbrett lagen. Die Stelle, an welcher der Daumen in den Handballen überging, war ein geröteter, unförmiger, stark geschwollener Klumpen Fleisch, und der Schmerz ließ nicht nach, ganz gleich, wie regungslos er sich auch verhielt. Es war schlimmer als sonst, wenn er einen dieser abscheulichen Anfälle hatte. Isabella hatte ihm immer wieder einige Heilmittel empfohlen. Und sie hatte ihm gesagt, er solle Schweinefleisch meiden. Als sie noch lebte, hatte er sich eine Zeit lang daran gehalten, und es war ihm dabei sogar gut gegangen, die Anfälle waren seltener und weniger heftig gewesen. Vielleicht sollte er mal wieder mit dieser Enthaltsamkeit beginnen. Obgleich er bereits jetzt wusste, dass es ihm unendlich schwer fallen würde. Er liebte Schinken, deftige Würste und saftigen Schweinebraten. Und der Mensch an seiner Seite, der ihm ins Gewissen zu
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