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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Toronto.«
    »Ich denke nicht.«
    »Ich denke doch.«
    Maya stand auf und ging nackt zu den offenen Türen der Ostveranda. Sonnenschein tauchte ihre makellose Haut in ein goldenes Licht. »Ich frage dich noch einmal, Byron. Was passiert heute?«
    Trumbo küßte ihren Nacken. »Alles«, sagte er und ging an ihr vorbei zur Tür hinaus.
    Er hatte keine Ahnung, wie zutreffend sich diese Aussage noch erweisen würde.
     
    17. Juni 1866, an der Kona-Küste
    Ich schrie nicht, als die Hand meinen Knöchel packte. Mr. Clemens hatte seinen Revolver gezogen, und ich konnte hören, wie er leise fluchte und sich in der Dunkelheit einen Weg zu mir zu bahnen suchte, doch ich rief: »Nein! Bleiben Sie, wo Sie sind.« Ich beugte mich zum feuchten Gras hinunter, löste vorsichtig die Hand von meinem Knöchel und folgte der sanften Wölbung vom Unterarm zur Schulter mit meinen Fingern. »Reverend Haymark«, rief ich leise, »haben Sie ein Licht?«
    Wir hatten keine Kerzen mitgebracht, aber ich hörte ein Ratschen, und dann sah ich eine flackernde Flamme aufzüngeln, als er ein Schwefelhölzchen anriß und zu mir eilte. Der Eingeborene, der mir zu Füßen lag, blutete aus einer Wunde am Schädel, und der Schmerz ließ seine Augenlider flattern. Er war kaum mehr als ein Knabe... er war ein Knabe. Und fast nackt noch dazu.
    »Wir müssen ihn zu unserer Hütte bringen«, sagte ich leise. Die Fackeln der gespenstischen Prozession waren nun gut hundert Meter entfernt, aber wir konnten nicht wissen, ob jemand vielleicht zurückgeblieben war. »Wie steht es um die anderen?«
    »Tot, fürchte ich«, sagte Mr. Clemens. Der Korrespondent war im spärlichen Schein von Reverend Haymarks zweitem Schwefelhölzchen weitergegangen und hatte sich jeden bleichen Leichnam mit einer Ungerührtheit angesehen, die das lapidare Abtun seines Militärdienstes Lügen zu strafen schien. Er und der Geistliche kamen herüber und hockten sich zu mir neben den Knaben. »Er hat einen Schlag mit einem Stein oder einem Knüppel bekommen«, erklärte Mr. Clemens, während er mit seiner Hand den Schädel des stöhnenden Kindes befühlte. An mich gewandt, sagte er: »Sie haben recht. Wir sollten ihn mit zur Hütte nehmen, damit wir seine Wunden bei Kerzenschein untersuchen können.« Dann sagte der Korrespondent zu Reverend Haymark: »Können Sie ihn allein tragen?«
    Der stämmige Geistliche reichte mir die wenigen verbliebenen Zündhölzer, und ich riß gerade rechtzeitig eins an, um zu sehen, wie er den Knaben mühelos aufhob. Ich blickte zu Mr. Clemens. »Kehren Sie denn nicht mit uns zurück?«
    Die Augen des Korrespondenten strahlten. Er deutete mit einem Nicken in Richtung auf den gespenstischen Fackelschein. »Ich werde mir das einmal ansehen und bald nachkommen.«
    »Vielleicht sollte ich...«, setzte ich an.
    »Nein«, fiel Mr. Clemens mir ins Wort. Er drehte sich um und verschwand in der Dunkelheit und dem Regen.
    Die Pferde waren nervös, aber noch immer angebunden, als wir zu der eingefallenen Hütte zurückkehrten. Es gab kein Bett, keinen Tisch oder auch nur ein Strohlager darin, aber Reverend Haymark legte den Knaben vorsichtig in der trockensten Ecke ab, während ich zwei Kerzen anzündete und in meinen Satteltaschen nach einem sauberen Tuch suchte, das als Verband dienen konnte. Dann nahm ich den Platz des Geistlichen neben dem Knaben ein und säuberte die Wunden, so gut ich konnte, mit Regenwasser, stillte die Blutung und wickelte einen abgerissenen Streifen von meinem Baumwollunterkleid um den Kopf des Kindes. Als ich aufschaute, sah ich, wie Reverend Haymark den Rock auszog.
    »Was ist, Sir?« fragte ich.
    »Wenn seine Nacktheit Sie beleidigt...«, sagte der errötende Geistliche und hielt mir seinen Rock wie eine Opfergabe hin.
    Ich winkte ab. »Unsinn. Er ist ein Kind Gottes. Unschuld kann niemals beleidigen.«
    Reverend Haymark zog seinen Rock wieder an und schaute hinaus in die Nacht. Der Regen hatte aufgehört, aber der Wind peitschte noch immer die Palmen. »Ich bin nicht sicher, ob diese Geschehnisse von großer Unschuld zeugen.«
    Der Lebensfunke des Knaben erwachte wieder. Zuerst stöhnte und sprach er in seiner eigenen Sprache, doch als sich sein Blick klärte und er unser ansichtig wurde, brachte er ein recht passables Englisch heraus. Sein Name war Halemanu, und er war im Alter von sechs Jahren — sieben Jahre zuvor, wie ich den etwas verworrenen Schilderungen des Knaben entnehmen konnte — in Reverend Titus Coans Mission in Kona durch

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