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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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nun schon seit zwei Monaten ignorierte. Als sich das erste Licht des Tages regte und die Vögel sich zwitschernd und trillernd zurückmeldeten, machte sie sich zu einem Spaziergang auf. Cordie joggte nicht. Allein die Vorstellung zu laufen, wenn man es nicht mußte, schien ihr absurd.
    Cordie wartete, bis die Frühstücks lanai ihre Pforten öffnete, und genehmigte sich ein riesiges Frühstück aus Pfannkuchen mit Kokossirup und Würstchen und Rühreiern und Vollkorntoast, drei Gläsern des vorzüglichen Orangensafts, den sie hier servierten, und etlichen Tassen Kaffee. Das ledergebundene Tagebuch, das Nell ihr in der Nacht zuvor gegeben hatte, war in ihrer Tasche, aber Cordie holte es nicht heraus, während sie aß. Sie hatte es sich nicht angesehen, bevor sie gestern nacht zu Bett gegangen war. Cordie las nicht viele Bücher, aber bei diesem hier hatte sie die Absicht, es in einem Rutsch durchzulesen.
    Nach dem Frühstück schlenderte sie an den Geschäften auf der Gartenebene der Big Hale entlang. Die meisten der teuren kleinen Boutiquen waren geschlossen, ebenso wie der Schönheitssalon und die Massagepraxis. Sie fragte sich, ob die Einheimischen wohl beschlossen hatten, nicht zur Arbeit zu erscheinen.
    Stephen Ridell Carter fing sie ab, als sie sich gerade zum Strand aufmachte. »Mrs. Stumpf«, begann er und spähte nervös auf sein Klemmbrett, »es freut mich, daß ich Sie treffe.«
    »Mich auch«, erwiderte Cordie. »Ich werde immer gern getroffen.«
    Den Hotelmanager schien diese Antwort etwas aus der Bahn zu werfen, aber er spulte trotzdem unbeirrt die Litanei herunter, die er an diesem Morgen offenkundig schon viele Male heruntergeleiert hatte. Wie es schien, strömte die Lava der Zwillingsausbrüche bis auf ein Dutzend Meilen an das Mauna Pele heran. Mr. Carter war überzeugt, daß keine direkte Gefahr bestand, aber auf Anraten der führenden Kapazitäten auf dem Gebiet der Vulkanforschung legte das Mauna Pele seinen Gästen nahe, vielleicht lieber nach Hause abzureisen oder in ein anderes erstklassiges Hotel umzuziehen, »natürlich mit einer vollen Rückerstattungsgarantie für alles, was wir Ihnen bis jetzt in Rechnung gestellt haben«.
    »Ich bezahle nichts«, erinnerte Cordie ihn. »Ich mache Urlaub mit den Millionären.«
    Mr. Carter lächelte. »Natürlich. Aber ich versichere Ihnen, daß Sie Ihren verbleibenden Urlaub einlösen können, sobald diese... mögliche Gefährdung... ausgestanden ist.«
    »Schließt das auch das Flugticket ein, das ich gewonnen habe? Werden die mich ein zweites Mal umsonst hierherfliegen?«
    Der Hotelmanager zögerte kurz. »Aber natürlich.«
    Cordie zeigte ihre kleinen Zähne in einem Grinsen. »Nun, vielen Dank, aber nein danke, Mr. C. Ich bin hier, und ich werde wohl auch hier bleiben.«
    »Wenn wir irgendwie...«
    »Nee, aber trotzdem vielen Dank«, gab sie zurück und tätschelte den Leinenanzugärmel des hageren Mannes. »Jetzt muß ich aber zum Strand. Ich habe noch eine Menge zu lesen.«
    Cordie las nicht wirklich am Strand. Ihre Haut war noch immer krebsrot von dem Sonnenbrand, den sie sich tags zuvor geholt hatte, und außerdem wollte sie das Tagebuch nicht dem direkten Sonnenlicht und der Salzluft aussetzen. Statt dessen suchte sie sich einen Liegestuhl auf dem parkgleichen Rasenstück zwanzig Meter landeinwärts vom Strand und südlich von der Shipwreck-Bar, windgeschützt und beschattet von Palmen, aber nicht zu weit entfernt von den Erfrischungen.
    Nachdem sie es sich auf den Polstern bequem gemacht und sich vergewissert hatte, daß ihr Strandkleid ihre sonnenverbrannten Schenkel vor den Sonnenstrahlen verhüllte, schlug Cordie das Tagebuch auf und begann zu lesen. Sie war eine langsame Leserin, aber am späten Vormittag hatte sie den einhundertdreißig Jahre alten Bericht der Geschehnisse an der South-Kona-Küste erreicht.
     
    18. Juni 1866, in einem namenlosen Dorf an der Kona-Küste
    Die Nacht und der Tag, seit ich das letzte Mal geschrieben habe, muten wie die halbvergessenen Ansichten einer Welt an, mit der mich längst nichts mehr verbindet. Die Wahrheit ist, daß ich glaube, ich habe meinen kurzzeitigen Wohnsitz in einer Welt der Schönheit und des Erhabenen gegen einen Platz in der Hölle eingetauscht. Doch selbst eine derartige Expedition wie ein Abstieg in die Hölle verlangt von dem ehrlichen Reisenden, daß er seine Geschichte erzählt, und so werde ich es tun.
    Die letzte Nacht, der Heidentempel, nach dem Regen, nach der Rettung von Halemanu,

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