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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sich Eleanor ob der Anmaßung von Leuten, die solche Fragen stellten und einfach davon ausgingen, daß sie verheiratet wäre, immer die Nackenhaare, aber Cordie Stumpf hatte etwas an sich, das es ihr schwer machte, verärgert zu sein. Es war die Unbefangenheit der Frage, ähnlich der ihrer Gesten. Grobschlächtig, beinahe schon rüde, aber immer ehrlich und geradeheraus.
    »Keine Kinder«, erklärte Eleanor. »Kein Mann.«
    »Noch nie?« fragte Cordie.
    »Noch nie. Ich bin Lehrerin. Das hat mich beschäftigt gehalten. Und ich reise gern.«
    »Eine Lehrerin«, sagte Cordie. Sie rutschte auf ihrem Sitz herum, um Eleanor genauer in Augenschein zu nehmen. Der Regen hatte jetzt aufgehört, und die Wischblätter erzeugten ein trockenes, quietschendes Geräusch auf der Windschutzscheibe. »Ich hatte ein bißchen Pech mit Lehrern, als ich noch zur Schule ging«, bemerkte Cordie, »aber ich vermute mal, daß Sie eher Collegeprofessorin sind. Geschichte vielleicht?«
    Eleanor nickte verdutzt.
    »Auf welche Epoche haben Sie sich spezialisiert?« fragte Cordie, ihr Interesse echt und deutlich in ihrer Stimme zu hören.
    Das überraschte Eleanor noch mehr. Gewöhnlich reagierten die Leute so, wie es der Handelsvertreter im Flugzeug getan hatte — starre Augen, glasiger Blick, der monotone Tonfall des Desinteresses.
    »Ich beschäftige mich hauptsächlich mit der Geistesgeschichte zur Zeit der Aufklärung«, sagte Eleanor und hob die Stimme, um sich über das Röhren des Jeepmotors und das Jaulen und Poltern der übergroßen Räder Gehör zu verschaffen. »Das achtzehnte Jahrhundert«, fügte sie hinzu.
    Erstaunlicherweise nickte Cordie Stumpf. »Sie meinen Voltaire, Diderot, Rousseau... diese Jungs?«
    »Ganz genau«, erwiderte Eleanor und erinnerte sich an etwas, das Tante Beanie ihr vor dreißig Jahren eingetrichtert hatte — Unterschätze die Menschen niemals. »Sie haben... ich meine, Sie kennen ihre Schriften?«
    Cordie lachte lauter als je zuvor. »Ich? Voltaire gelesen? Schätzchen, ich hab gerade mal genug Zeit, die Witzspalte zu lesen, wenn ich auf dem Klo sitze.« Die Frau wandte ihr Mondgesicht wieder der Straße zu. »Mhm-mhm, Eleanor, ich hab noch nie was von diesen Jungs gelesen. Mein zweiter Mann — Bert war das —, der wollte immer gebildet sein und hat für die Kinder die ganze Encyclopaedia Britannica bestellt. Hat gleich noch einen ganzen Haufen anderer Bücher als Gratisgeschenk dazu bekommen... die Großen Klassiker. Kennen Sie die?«
    »Ja«, erklärte Eleanor.
    »Ist wie ‘ne Reihe von wichtigen Büchern für Leute, die Angst haben, sie wären nicht gebildet genug. Aber egal, jedenfalls hat jeder Band der Großen Klassiker eine Zeittafel im Wie-heißt-das-noch«, fuhr Cordie fort. »Im Anhang. Voltaire und all die anderen Jungs. Wann sie geboren wurden. Wann sie gestorben sind. Ich hab Howie mal geholfen, mit diesen Zeittafeln hinten drin eine Hausarbeit zu schreiben.«
    Eleanor nickte. Sie erinnerte sich an etwas anderes, das Tante Beanie ihr vor dreißig Jahren eingetrichtert hatte. Aber überschätze die Menschen auch niemals.
    Unvermittelt nahm die Saddle Road eine Hügelkuppe, und die beiden Frauen blickten auf die Anfänge der Westküste des Big Island hinunter. Der Feuerschein der Vulkane schimmerte viele Meilen weiter nach Westen hin auf dem Pazifik. Eleanor vermeinte, ganz weit im Norden einige Lichter auszumachen.
    Sie kamen an eine Weggabelung. Ein Schild zeigte nach Norden: waimea.
    »Wir wollen nach Süden«, sagte Cordie Stumpf.
     
    An der Küste war es um einiges wärmer, und der Himmel war klar. Eleanor wurde bewußt, wie kalt es hoch oben auf der Saddle Road mit dem eisigen Passatwind im Rücken und dem peitschenden Regen in ihrem Gesicht gewesen war. Die Luft war dicker und weniger schneidend geworden, seit sie an der Waikola-Abzweigung auf den Highway 19 gewechselt und entlang der Küstenstraße an den verstreuten Lichtern der ersten Häuser vorbeigefahren waren. Hier war das Gefühl zurückgekehrt, in den Tropen zu sein, der Salz- und Fäulnisgeruch des Ozeans, die schwüle Luft, die Eleanors Haar an ihrem Kopf kleben ließ, und das ganz leise Rauschen der Brandung, das gerade noch über dem Geräusch der Reifen und des Motors auszumachen war.
    Die Küstenstraße war in dieser Nacht nur wenig befahren, aber selbst die gelegentlichen Autos waren nach der völligen Verlassenheit der Saddle Road erschreckend. Eleanor hatte hier ein weit dichter besiedeltes Gebiet erwartet, aber

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