Die Feuer von Eden
in diesem Leben nur wünschen kann.«
Ein wenig überrascht ob seiner ernsten Antwort, fragte ich: »Und war Ihr Fluß so wunderschön wie dieser leider nicht ganz so stille Ozean?«
Mr. Clemens nahm sich einen Moment, um den stinkenden Rauch seiner Zigarre zu inhalieren. »Meine erste Zeit auf dem Fluß war so verführerisch wie ein Spaziergang durch den Louvre, Miss Stewart. Überall gab es unerwartete Schönheiten zu entdecken. Es traf mich — um es mit den Worten des Cowboys zu sagen, der eine Schlange in seinem Stiefel findet — ein wenig unvorbereitet. Doch als ich erfahrener im Flußschiffen wurde, verblaßte jene Schönheit.«
»Ob der Vertrautheit?« meinte ich.
»Nein«, erwiderte Mr. Clemens und warf den Stumpen seiner Zigarre ins Meer, »ob meiner Beherrschung der Sprache des Flusses.«
Ich sah ihn verständnislos an und drehte meinen Sonnenschirm.
Die Lippen des Korrespondenten verzogen sich abermals zu einem jungenhaften Grinsen. »Der Fluß war wie ein Buch, Miss Stewart. Das Antlitz des Wassers — auf der Fahrt flußaufwärts wie auch flußabwärts — war wie eine uralte, doch jüngst entdeckte Schriftrolle, geschrieben in einer toten Sprache. Als ich jene Sprache erlernte — die Sprache der tückischen, umhertreibenden Baumstämme und verborgenen Riffe und bewaldeten Ufer, denkwürdig nun nicht mehr um ihrer Schönheit willen, sondern als Warnzeichen, sicheres Fahrwasser zu suchen —, als dieses wunderbare Buch mir seine Geheimnisse offenbarte — seine Stille bei Sonnenaufgang, seine leisen Dämmerungslaute — da verblaßten sie auch schon, so als ob ihre Schönheit gerade in ihrem Geheimnis gelegen hätte.«
Ich muß gestehen, daß mich die unvermittelte Verwandlung des Gentlemans von einem ungehobelten Schreiberling in einen melancholischen Poeten eine Weile verstummen ließ. Vielleicht bemerkte Mr. Clemens dies, oder seine lyrischen Anwandlungen waren ihm peinlich, jedenfalls holte er eine weitere Zigarre hervor und schwenkte sie wie einen Zauberstab. »Nun, wie dem auch sei, Miss Stewart, ein Flußschiff kann Sie umbringen — ein Heizkessel kann explodieren, der Rumpf kann von einem jener hübschen vorspringenden Riffe aufgerissen werden —, aber es erweckt in einem menschlichen Körper nie den Wunsch, sein Innerstes nach außen zu kehren, wie es diesem Hochseegefährt bei unseren armen Mitreisenden gelungen ist.«
Danach verließ ich Mr. Clemens und verfiel mit Thomas Lyman, Mr. Wendt und dem schon etwas betagten Reverend Haymark in eine lebhafte Unterhaltung über das Für und Wider von Missionaren und ihren Einfluß auf die Inseln. Mr. Wendt und Mr. Lyman vertraten die derzeit beliebte Ansicht, daß die Eingeborenen säuglingopfernde Heiden gewesen wären, bevor ihre Väter und dessen Freunde ihnen vor einer Generation die fromme Botschaft und die Zivilisation brachten. Ich muß gestehen, daß ich mich, während die Unterhaltung ihren unausweichlichen Lauf nahm, zu fragen begann, welche Belanglosigkeit Mr. Clemens diesem Thema wohl hinzuzufügen wüßte. Doch Mr. Clemens hatte eine Matratze unter einem Segeltuchbaldachin annektiert und verschlief den heißesten Teil dieses tropischen Tages.
Spätnachmittags tauchte Hawaii am Horizont auf, doch Wolken raubten uns die Sicht, so daß man gerade noch die Gipfel zweier gewaltiger Vulkane ausmachen konnte, die mit schimmernd weißem Schnee bedeckt schienen. Der bloße Gedanke an Schnee in diesen Breitengraden genügte, um mich schwindlig zu machen, und ich beschloß im selben Moment, meine Eide gegenüber all meinen Missionarsfreunden in Honolulu zu brechen, die mich hatten schwören lassen, daß ich nicht versuchen würde, den Gipfel des Mauna Loa oder seines Vulkanbruders zu erklimmen.
Es war schon dunkel, als wir in Kawaihae an der Nordwestküste von Hawaii vor Anker gingen. Abermals wurde nur kurz Post und Fracht getauscht, dann stachen wir wieder in See und fuhren unter Dampf durch den Kanal, der Maui von der nördlichsten Spitze von Hawaii trennte. Obgleich der Himmel wolkenfrei war und die Sterne heller strahlten, als ich sie — von meinen Ausflügen in die höchsten Regionen der Rocky Mountains einmal abgesehen — je erlebt hatte, war die See hier rauher als zuvor, so daß sich der Gemeinschaftsraum unter Deck abermals in ein schwankendes Lager leidender Menschheit verwandelte. In jener Nacht gab es keine Unterhaltungen mit Mr. Clemens oder einem der anderen Passagiere an der Reling; ich nahm dankbar meine
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