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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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»Matratze« unter dem Baldachin neben dem Ventilator an und verbrachte den größten Teil der nächsten sieben Stunden damit, mich an Geitauen und Messinggestängen festzuklammern, um nicht von Deck zu rollen. Manchmal, wenn ich einnickte und sich mein Griff lockerte, rutschte die Matratze tatsächlich deckabwärts auf die Reling zu, nur um dann, wenn das Schiff in die entgegengesetzte Richtung rollte, wieder zurückzurutschen und mich just an der Stelle neben dem Belüftungsstutzen abzusetzen, wo ich meine kleine Reise begonnen hatte. Langsam verstand ich, warum sie das Schiff die Boomerang getauft hatten.
    Die Sonne ging in all ihrer Pracht vor einem gloriosen Hintergrund von Schauern und Regenbogen auf, und die See beruhigte sich, so als würde sie von unsichtbarer Hand glattgestrichen. Die Nordostküste von Hawaii kam in Sicht, und sie hätte nicht gegensätzlicher zu den überraschend braunen, verbrannten Hügeln und schwarzen Lavafeldern der Nordwestküste sein können, die wir in der Dämmerung des gestrigen Abends erblickt hatten. Hier leuchtete alles in tausend Schattierungen von Grün, vom strahlendsten Smaragd zu den zartesten Sellerietönen, und die Nordküste war eine Laterna-Magica-Vorstellung der Südsee — atemberaubende Klippen, überwuchert von üppiger Vegetation, obgleich sich niemand von uns zu erklären vermochte, wie die Flora sich an den fast vertikalen Hängen halten konnte, dazwischen immer wieder tiefe Schluchten, die sich zu blühenden Tälern öffneten, hier und dort verziert mit einem kleinen Strand, der schwarz oder weiß unterhalb der grünen Klippen schimmerte, und durchsetzt von einer schier endlosen Reihe von rauschenden Wasserfällen, die dreihundert Meter und mehr von den Dschungeln auf den Kuppen der unbezwingbaren Felswände zu den kleinen lauschigen Seen darunter herabstürzten.
    Und überall entlang dieses beeindruckenden Küstenabschnitts brach sich krachend die Brandung, ein Geräusch — so versicherte mir Reverend Haymark — wie Artilleriefeuer im jüngst vergangenen Krieg. An einigen Stellen explodierten die mächtigen Brecher in Höhlen und Spalten in den Klippen, ließen die Gischt hoch aufschießen und dann als einen feinen Niesel auf die Farne herabregnen, die überall an den grauen Felswänden wucherten.
    Wohl dreißig Meilen oder mehr entlang der Nordküste weideten wir unsere Augen an dieser Pracht und Erhabenheit und entdeckten keine Anzeichen banaler menschlicher Ansiedlungen, abgesehen von einigen Eingeborenenkirchen, die auf Lichtungen nahe des Klippenkamms standen. Vielleicht zehn Meilen von Hilo entfernt, erspähten wir die ersten Zuckerrohrplantagen; die süßen Felder waren von einem noch atemberaubenderen Grün als die Pflanzenwelt, an die sich unsere Augen nunmehr schon fast gewöhnt hatten, die weißen Kesselhäuser und Schornsteine bildeten einen ansprechenden Gegensatz zu all der wildwuchernden Vegetation. Und dann kamen immer mehr Häuser, immer mehr Täler, Grashütten in Hülle und Fülle, weitere Plantagen, die Felsen und Klippen entlang der Küstenlinie wurden immer flacher, bis sie mich an die sanfteren Gestade Neuenglands erinnerten, und dann erreichten wir unseren Bestimmungsort Hilo.
    Vom ersten Moment, als wir in jene halbmondförmige Bucht einfuhren, die dieser Gemeinde als Hafen und Schutz diente, konnte ich sehen, daß Hilo das wahre Paradies des Pazifiks war — das Paradies, auf das Täuscherstädte wie Honolulu nur voller Neid schauen konnten. Aufgrund des feuchten Klimas und der perfekten Wachstumsbedingungen, die die Luft und der Erdboden bieten, kann die Stadt selbst mehr erahnt denn gesehen werden. Die hohen Kokospalmen, die Kerzennußbäume, Brotfruchtbäume und tausend andere Tropenpflanzen, Farne und Kletterranken lassen nur hier und da ein wenig weißgetünchtes Holz oder einen stolzen Turm hervorlugen.
    Hier klang die Brandung nicht mehr wie Artilleriefeuer, sondern mehr wie ein leiser Chor von Kinderstimmen, zu dem das gesamte Blätterdach über den Häusern und Grashütten sich im Rhythmus der Musik von Mutter Natur zu wiegen scheint. Es war, als ob unser Schiff — während der zweitägigen Überfahrt so infiziert mit Krankheit und Ungeziefer — sich mit einem Mal in ein stolzes Himmelsgefährt verwandelt hätte, das seine glücklichen Pilger in dieses Vorzimmer des Paradieses brachte.
    Es war ein erhabener Moment. Es wäre ein vollkommener Moment gewesen — hätte nicht Mr. Clemens ein Schwefelhölzchen an seiner

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