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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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eine ganze Weile das Tosen der Brandung gehört haben mußte, obgleich der Ozean dreißig Meilen entfernt war. Das Geräusch stammte offenbar von den sich bewegenden Lavamassen und dem Dampf unter den Felsen zu unseren Füßen. Als wir näher kamen, wurden hohe Dampfsäulen sichtbar, die wie gewundene Pfeiler in die feurige Wolkendecke ragten. Obgleich die Pferde diese Reise schon früher gemacht hatten, verdrehten sie die Augen und tänzelten nervös, als wir uns dem Kessel näherten.
    Ich hatte mir unter dem Volcano House ein reguläres Hotel vorgestellt, und es war durchaus keine so herbe Enttäuschung wie das Rasthaus. Der Wirt dieser einzigartigen Herberge kam nach draußen, um uns zu begrüßen, und mehrere eingeborene Dienstboten kümmerten sich um unsere erschöpften Pferde. Der Wirt wollte uns zu einem verspäteten Abendmahl an den einzigen Tisch des Speisesaals und dann zu unseren hergerichteten Zimmern führen, doch so müde wir auch alle waren, galt unser einziger Gedanke allein dem Vulkan, und wir gingen hinaus auf die Veranda, die sich ein Stück über den Kraterrand erstreckte.
    »Allmächtiger«, entfuhr es Reverend Haymark, als wir uns der Balustrade näherten, und ich glaube, er sprach uns allen aus dem Herzen.
    Der Kilauea hat einen Umfang von über neun Meilen, und unser kleiner Balkon reckte sich über einen Abgrund, der wenigstens dreihundert Meter bis zur Oberfläche eines ausgetrockneten Sees unter uns reichte. Der Wirt zeigte auf einen Bau, den er als »Aussichtshäuschen« bezeichnete — eine winzige Bude, beleuchtet vom Feuerschein des Kraters —, und erwähnte, daß es bis dort ein Weg von drei Meilen auf dem Vulkanrand entlang war.
    Zwischen uns und dem Aussichtshäuschen bestand der Kraterkessel aus einem Labyrinth lodernder Spalten, erstarrter schwarzer Lava, hoch aufschießenden Lavageysiren und wabernden Dampfsäulen, die sich zu den blutigen Wolken erhoben, welche über dem Krater hingen wie ein Baldachin aus roter Seide. Ich blickte in die verzückten Gesichter meiner Reisegefährten und bemerkte, daß der Lichtschein des Vulkans ihr Antlitz mit einem feurigen Schimmer überzog und ihre Augen so rot wie die der Pferde glimmen ließ.
    »Wir haben etwas von kleinen Teufeln, finden Sie nicht?« feixte Mr. Clemens und grinste mich an.
    Zunächst hatte ich vor, die Bemerkung des Korrespondenten zu ignorieren, um ihn nicht zu weiteren Spötteleien zu ermutigen, doch ich mußte feststellen, daß die Erregung des Augenblicks stärker war. »Wie gefallene Engel«, erwiderte ich. »Nur nicht so schön wie Miltons Helden, fürchte ich.«
    Mr. Clemens lachte und blickte wieder auf das feurige Schauspiel. Er hatte schon wieder eine seiner widerwärtigen Zigarren angezündet, und ihr Rauch war ebenso rot wie die Schwefeldämpfe, die dem Feuerkessel entstiegen.
    Obgleich der größte Teil des mächtigen Vulkankessels von Pfuhlen und Strömen rotfließender Lava übersät war, kam der überwältigende Flammenschein doch von dem See am südlichsten Ende des Kraters — Hale-mau-mau, oder auch Haus des ewigen Feuers, von dem die Mythologie der Eingeborenen besagt, er sei die Heimstatt der gefürchteten Göttin Pele. Gute drei Meilen entfernt, gab dieser See doch mehr Feuer und Licht ab als der Rest des Kraters zusammen.
    »Da will ich hin«, verkündete Mr. Clemens.
    Die anderen waren bestürzt. »Heute nacht?« sagte der Wirt, offenkundig entsetzt.
    Ich sah die Glut der Zigarre des Korrespondenten auf und ab hüpfen. »Ja. Heute nacht. Auf der Stelle.«
    »Das ist ganz unmöglich«, erklärte der Wirt. »Keiner der Führer geht in den Krater hinunter.«
    »Warum nicht?« fragte Mr. Clemens.
    Der Wirt räusperte sich. »Die Lava ist seit dem Ausbruch letzte Woche viel aktiver. Es gibt einen Pfad, aber der ist im Dunkeln schlecht zu sehen — selbst bei Laternenschein. Wenn man vom Pfad abkommt, kann man leicht durch eine brüchige Lavakruste einbrechen und dreihundert Meter tief in den Tod stürzen.«
    »Mmmm«, machte Mr. Clemens und nahm die Zigarre aus dem Mund. »Ich denke, zweihundertfünfzig Meter würden mir schon reichen.«
    »Wie bitte?« sagte der Wirt.
    Mr. Clemens schüttelte den Kopf. »Trotzdem möchte ich gerne dorthin. Heute nacht noch. Wenn Sie so freundlich wären, mir eine Laterne zu borgen und den Pfad zu zeigen...« Er hielt inne und blickte zu uns anderen. »Möchte mich jemand begleiten?«
    »Ich denke, ich schlafe lieber erst einmal ausgiebig und warte das Tageslicht ab«,

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