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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Schmerzes, und weil er sich plötzlich ganz leicht fühlte, meinte er, aus der Welt hinauszufliegen. Er überließ sich diesem Flug, und alles verschwand.

60
    Der Schnee begann um die siebte Nachtstunde zu fallen, als die Tramontana den Schirokko in einem letzten, mit Blitzschlägen ausgefochtenen Kampf auch aus den unteren Luftschichten verjagt hatte und zur Alleinherrscherin geworden war. Steif vor Kälte saßen die Chiffrierlehrlinge Ferigo Marin und Pietro Amadi, jeder in zwei Decken gehüllt, dicht am bronzenen Ofen und tranken einen zuckersüßen Aufguss aus Lorbeer, Salbei und Honig. Vor nunmehr fast acht Stunden hatte der amtliche Chiffreur Zuàn Francesco Marin die Geheimkanzlei verlassen, und da sie den streitbaren, jähzornigen Charakter des Mannes kannten, wuchs ihre Sorge, er könnte wegen Majestätsbeleidigung ineiner Arrestzelle des Palazzo gelandet sein, oder schlimmer, in der Krankenstube.
    Die Angst der beiden jungen Männer, für sich schon berechtigt, wurde vom Feuer ihrer Ungeduld noch erhitzt. Sie konnten es nicht erwarten, Zuàn Francesco das Ergebnis zu zeigen, zu dem sie gelangt waren. Ferigo und Pietro hielt es nicht mehr auf ihren Plätzen, sie standen auf, um nach draußen zu spähen. Nichts. Bemerkungen und Vermutungen über die Verspätung austauschend, kehrten sie zum Ofen zurück, um im Licht der Öllampe das Wort aus sieben Buchstaben zu betrachten, das mit einem Pinsel in die Mitte des an der Wand hängenden Blattes geschrieben war, damit Zuàn Francesco es sofort bemerkte.
    » Inverno «, las Ferigo begeistert, jeden Buchstaben betonend.
    » Inverno ! Winter!«, schrie Pietro, um sich von dem Wort zu befreien.
    »Wir sind wahre Meister!« Ferigo rieb sich die Hände. »Hochgelehrt in der Kunst, geheime Chiffren zu entschlüsseln!« Er schenkte sich von dem Aufguss in der Kupferkanne ein.
    »Er wird uns zu festangestellten Chiffreuren ernennen!«
    »Wir werden Sua Serenità vorgestellt!«
    »Aber wann kommt er nur zurück?« Mit diesen Worten ging Pietro zur Tür, um zu lauschen. Nichts. Also begann die Leier von neuem.
    So ging es bis kurz nach Mitternacht, als der Schlaf die beiden Jungen übermannte. Sie waren gerade eingeschlummert, als Zuàn Francesco Marin zurückkehrte, lärmend, wie es seine Art war. Erst ein dumpfes Poltern auf der Treppe, dann ein Schrei: »Pietro! Ferigo! Wo habt ihr euch verkrochen?«
    Pietro riss die Augen auf, reglos und benommen in der lauen Wärme des Ofens verharrend.
    »Vater!«, rief Ferigo.
    »Auch die Jahreszeiten haben den Verstand verloren!«, knurrte der Mann. Er zog an der Schlaufe seines tropfenden Mantels und ließ ihn achtlos auf den Tisch mit den Papieren fallen.
    »Nicht!« Ferigo sprang auf, ergriff den Mantel und hob ihn hoch. Darunter lagen beschriebene Blätter, Tabellen, alphabetische Tafeln, Zeichnungen. Kurz, die gesamte Arbeit eines Tages. Zuàn Francesco achtete nicht darauf.
    »Wie angenehm warm hier drin«, sagte er, ging, sich die Hände reibend, auf Pietro zu und kniff ihn in die Wange. »So lässt sich’s aushalten, wie?« Er sah die Kanne auf dem Ofen und hielt sie sich an die Kehle. Nachdem er sie bis auf den letzten Tropfen geleert hatte, wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. »Große Neuigkeiten, Jungen!«, rief er gestärkt aus, nahm die Mütze ab und legte sie auf die Ofenplatte. »Wir ziehen in die Sala Orba der Dogengemächer im ersten Stock um! Von morgen an sind wir Nachbarn des Herrn Dogen Loredan. Wir werden sogar aus seinen Küchen mit versorgt! Freut ihr euch?«
    »Ja, natürlich freuen wir uns«, sagte Ferigo nicht gerade überschwänglich.
    »Das scheint mir nicht so!«, brummte Zuàn Francesco. »Los! Redet! Was ist passiert?«
    »Wir haben auch eine gute Nachricht, Vater«, wagte sich Ferigo vor, und seine Augen blitzten. »Seht Ihr denn nichts?« Er trat ein wenig zur Seite.
    Der Chiffreur sah das Blatt sofort, und seine Augen wurden zu Schlitzen. Er stand auf.
    »Inverno«, las er mit seiner warmen, volltönenden Stimme.
    »Der Schlüssel aus sieben Buchstaben«, erklärte Ferigo nur. Er nahm das Papier herunter und hielt es dem Vater mit zitternder Hand hin.
    Der blickte lange auf das Wort in der Mitte des Blattes. Dann hob er die Augen zu Ferigo und musterte ihn prüfend. Nach einer Weile wanderte sein Blick zu Pietro.
    »Wir haben deine Lehren befolgt.« Ferigo nahm all seinen Mut zusammen. »Wir haben die Mehrfachen gruppiert und die Häufigkeiten untersucht, wie wenn man eine durch

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