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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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nuschelte er.
    Michele, der andere Wärter, fast noch ein Kind, der mit der Weinflasche in der Hand eine Stufe tiefer saß, warf ihm einen ernsten Blick zu: »Du bist ja verrückt. Völlig verrückt. Los, holen wir ihn raus.« Doch von der Albernheit des Gefährten angesteckt, fing auch er an zu lachen.
    Eine fette Ratte schwamm bis zur Treppe, um sich auf die erste Stufe zu retten, die aus dem Wasser ragte. Dort sträubte sie ihr Fell, stellte sich auf die Hinterbeine, schnüffelte und beäugte die beiden Jungen. Schnell wie ein Pfeil sauste der Schuh herab, erwischte das Tier voll und stieß es ins Wasser zurück. Schlagartig hörte Michele auf zu lachen. Er stand langsam auf, den Rücken an der vom Salpeter weiß getünchten Steinmauer reibend. Mit ängstlicher Miene starrte er auf einen Punkt hinter Tozzetto. Als Tozzetto den Lichtschein sah, der sich auf der Treppe verbreitete, erstarb auch sein Gelächter.
    » Allahım bana yardım et! « Die Stimme des Gefangenen schien aus der Unterwelt aufzusteigen.
    Tozzetto drehte sich um: Drei Stufen über ihm war der Erste Wächter Zaneto stehen geblieben, eine Fackel in der Hand. Doch was schlimmer war, hinter ihm ragte in seiner roten Toga und dem schwarzen Umhang der Missièr Grande auf und an seiner Seite eine mit Armbrust bewaffnete Wache.
    Donner grollte in der Ferne.
    Zaneto stieg eine Stufe hinab und versetzte Tozzetto eine schallende Ohrfeige. Der Junge wankte, schien zu fallen, richtete sich aber wieder auf.
    »Geh den Gefangenen holen, wie dir befohlen wurde«, sagte der Aufseher streng.
    Der junge Wärter ergriff die Schlüssel, die an seinem Gürtel hingen, riss die Leuchte von einem Haken an der Wand und eilte mit Michele die Treppe hinunter. Mit erhobenen Armen kämpften die beiden sich durch das Wasser, das ihnen bis zur Taille reichte, und verschwanden auf der rechten Seite in dem Gang, der zum achten Pozzo führte.

58
    Sofia war im ersten Stock der Locanda im Korridor auf zwei nebeneinandergestellte Tische gelegt worden. Man hatte sie von ihrem Mieder befreit, und Dottor Martini aus Borgoloco drückte, die Hände neben ihr Brustbein gelegt, in rhythmischen Stößen auf ihren Brustkorb. Noch immer triefend nass, hielt Andrea bekümmert Sofias Kopf, der über den Tischrand ragte. Er war leicht zur Seite gedreht, ihre Haare bildeten eine rote Sturzflut. Ein wenig abseits an die Wand gelehnt, ließ Francesco, eine Decke über Schultern und nacktem Oberkörper, die beiden nicht aus den Augen.
    Eine Öllampe hing von der Decke des Korridors und verbreitete nur in ihrer unmittelbaren Umgebung ein schwaches Licht, der Rest des Raumes war in nächtliche Finsternis gehüllt. Doch in diese schwarzen Ecken drangen in schneller Folge, zusammen mit dem Donner, die Blitze des Gewitters, das Venedig von San Cristoforo bis San Michiel überzog. Bei jedem Blitz sah man auf beiden Seiten des Korridors, dicht aneinandergedrängt, die Umrisse des schweigenden, aber Anteil nehmenden Publikum dieses Dramas. Nur Maria beobachtete teilnahmslos das Schauspiel, an einer Orange riechend, die den Gestank der durchnässten, schwitzenden Männer übertönen sollte. Alles hatte bereits den Anschein einer Totenwache, wenn Dottor Martini nicht mit seinen Wiederbelebungsversuchen fortgefahren wäre.
    »Helft mir, sie auf den Bauch zu drehen!«, sagte er zu Francesco. »Und Ihr«, fuhr er, an Andrea gewandt, fort, »haltet ihr Gesicht über dem Boden.«
    Martini entblößte ihren Rücken, dann legte er die Hände auf beide Seiten und begann kräftig zu drücken.
    Plötzlich ergoss sich ein Schwall Wasser, mit Schleim vermischt, auf den Boden. Beim nächsten Drücken folgte ein zweiter. Sofia atmete, oder besser, sie sog die Luft mit einem Röcheln ein, das wie ein Schrei klang. Dann hustete sie. Und mit dem Husten gab sie noch mehr Flüssigkeit von sich. Sie begann zu stöhnen und mühsam zu atmen. Der folgende Würgreflex fiel mit einem Blitz zusammen, dessen Licht den ganzen Raum erfüllte. Sie hustete und erbrach sich. Dann wurde der Atem regelmäßiger.
    »Wo bin ich?«, lallte sie wie betrunken.
    Andrea lächelte sie an. »Ihr seid wieder bei uns.« Er nahm ihre Hände und half ihr, sich auf den Rand des Tisches zu setzen.
    »Wer seid Ihr?«, murmelte sie.
    »Andrea Loredan, Signora.«
    Sie musterte ihn, versuchte zu verstehen. Plötzlich riss sie die Augen auf, weil sie bemerkt hatte, dass ihr Oberkörper nur spärlich von der durchnässten und kaputten Bluse bedeckt

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