Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
hatte viele dieser Bücher gelesen, von Aretino bis Boccaccio, von Machiavelli bis Savonarola, bis hin zu den Werken von Erasmus und Luther. Doch er fuhr mit seiner Verstellung fort und verneinte kopfschüttelnd, mit angstgeweiteten Augen. Als Filippo ihn so verstört sah, lächelte er ihn wieder an.
»Ich habe es getan. Sie sind schön, weißt du.«
Der Mönch hielt sich die Ohren zu und schloss die Augen wie ein Kind vor Reden, die es nicht hören will.
Filippo küsste ihn erneut, und als Angelo die Augen wieder öffnete, nahm er seine Hände und zwang ihn, weiter zuzuhören.
»Du wirst von Raimondo Lullo gehört haben.«
Eines von Riccios Talenten war die Schnelligkeit des Denkens. Sie hatte ihn schon öfter gerettet. Von Ramòn Llull, dem katalanischen Philosophen und Theologen, der vor drei Jahrhunderten versucht hatte, Juden und Muselmanen zu bekehren, kannte er die logische Maschine der kombinatorischen Kunst, die viele kannten. Es zu leugnen, hätte Tomei misstrauisch gemacht, es mit allzu großer Überzeugung zu bejahen, ebenfalls. Er wählte einen Mittelweg.
»Eine arme verlorene Seele.« Er bekreuzigte sich.
»Und Henricus Cornelius Agrippa, kennst du den?«
»Sprich den Namen dieses Gottlosen nicht aus!«
»Hast du je etwas von ihm gelesen?«
»Was sagst du da?« Angelo blickte ihn erschrocken an.
Tomei lächelte bitter.
»Du solltest es tun, du würdest entdecken, dass er glaubensstark und voller Mystik ist.«
»Er ist ein Zauberer, ein Scharlatan!«
»Wenn du diese Autoren kennst«, fuhr der Florentiner fort, der Gefallen daran zu finden schien, das Mönchlein zu quälen, »dann wirst du auch Theophrastus Paracelsus kennen.«
»Mehr will ich nicht hören.« Und wieder legte er sich erschrocken die Hände auf die Ohren. Doch insgeheim brachten ihn all diese Namen zum Jubeln, denn sie entschädigten ihn für die moralischen und sexuellen Zumutungen, die er in letzter Zeit hatte erdulden müssen.
Tomei ergriff Angelos Handgelenk, um die Hand vor seinem Ohr wegzuschieben. Für ihn schien es ein aufregendes Spiel geworden zu sein.
»Ich werde dir ein Geheimnis verraten.«
»Ich will’s nicht hören! Schweig!« Das Mönchlein versuchte sich dem Drängen des anderen zu entziehen.
»Weißt du, dass Kardinal Altoviti, unser tieffrommer, innig geliebter Antonio Altoviti, Erzbischof von Florenz, der persönlicher Sekretär von Papst Pius III. war, außerdem Unterzeichner der Akten des Konzils von Trient, ein Anhänger von Paracelsus ist und überaus kundig in der Alchemie und hermetischen Philosophie?«
Angelo Riccio wusste das alles, denn auch von Altoviti bekam er Geld und zwar reichlich, aber seine Erregung war so groß, dass er einen Moment lang fürchtete, sich mit seiner Miene, einem Wort, einer unbedachten Bewegung zu verraten. Er beschloss, sich noch entsetzter zusammenzukrümmen, ließ Tränen in seine Augen schießen, wie er es schon als Kind gekonnt hatte, und heftete seinen wässrigen Blick auf Tomei. »Warum sagst du mir das alles?«
Der Florentiner schien plötzlich beunruhigt.
»Ich fühle mich nicht gut«, sagte Riccio mit hauchdünnerStimme. Er stand auf, ging zur Tür und öffnete schüchtern einen Flügel.
»Eccellenza, Signor Segretario«, sagte er zu Formento, »ich würde gerne etwas frische Luft schnappen.«
»Aber sicher, kommt doch her, bitte.«
Der Frate schlich sich verstohlen aus der Kabine, tat einen Schritt auf den Bug zu, krümmte sich und begann, an die Reling der Gondel geklammert, zu husten und Brechreiz zu mimen. Insgeheim frohlockte er selig, während der Fante die Armbrust hob, aus Angst vor einem Fluchtversuch. Formento machte ihm ein Zeichen, er solle die Waffe senken.
66
Der kalte Nordwind trug den süßen Geruch des Glases heran. Andrea hatte ihn deutlich wahrgenommen, als die Fähre nach Murano, eine Gondel mit zwei Ruderern, die am Portikus am Rio San Canciano abgefahren war, aus dem Schutz des Kanals zwischen den Inseln San Cristoforo und San Michiel herausgekommen und in die kristallklare, sonnige Luft des Canal de Muran eingetaucht war. Der Duft war ganz plötzlich gekommen, hatte nur den Moment eines Atemzuges angehalten und war dann verschwunden, wie ein jäher Windstoß. Das Glas konnte nach Rosen oder Weißdorn riechen, aber auch nach Honig oder Malvasier. Andrea hatte seinem Bruder Alvise davon erzählt, als er ein Kind war, doch der hatte schallend gelacht und ihn freundlich verspottet. Tief gekränkt, hatte Andrea nie mehr davon
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